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Von Ralf Keuper
Die Informatik macht hin und wieder Anleihen bei der Biologie bzw. der Evolutionstheorie. So auch im Fall der Genetischen Algorithmen. Für ihren “Vater”, John Holland, sind Genetische Algorithmen Optimierungstechniken, die auf den Prinzipien der natürlichen Selektion basieren und verwendet werden, um effiziente Lösungen für komplexe Probleme zu finden, wie z. B. die Optimierung von Lieferketten. Der Prozess umfasst mehrere Schritte1Inside AI:
- Initialpopulation: Eine Gruppe potenzieller Lösungen wird erstellt, die unterschiedliche Routen, Verteilungspläne und Zeitpläne umfasst.
- Bewertung: Jede Lösung wird anhand eines Fitnesskriteriums bewertet, das Faktoren wie Lieferzeit und Kosten berücksichtigt.
- Selektion: Die besten Lösungen werden ausgewählt, um sie zu kombinieren.
- Crossover: Teile erfolgreicher Lösungen werden kombiniert, um neue Lösungen zu schaffen.
- Mutation: Zufällige Änderungen werden vorgenommen, um Vielfalt zu erzeugen.
Dieser Zyklus wiederholt sich über mehrere Generationen, bis eine zufriedenstellende Lösung gefunden wird oder ein festgelegter Zeitraum abgelaufen ist.
Genetische Algorithmen sind besonders effektiv bei komplexen Problemen, bei denen eine vollständige Analyse aller Möglichkeiten unpraktisch ist, wie z. B. beim Traveling Salesman Problem (TSP). Sie bieten Vorteile gegenüber klassischen Optimierungsmethoden, da sie eine Vielzahl potenzieller Lösungen generieren und sich kontinuierlich verbessern können.
Trotz ihrer Stärken haben GAs auch Einschränkungen: Sie garantieren nicht die beste Lösung, erfordern hohe Rechenressourcen und können manchmal schwer zu interpretieren sein. Dennoch sind sie ein wertvolles Werkzeug zur Lösung komplexer Probleme in verschiedenen Anwendungen, von Lieferketten über Finanzmodelle bis hin zu Robotik.
Schema-Theorem
Mitt der 1960er Jahren formulierte Holland das sog. »Schema-Theorem«, einen Hauptsatz für genetische Algorithmen.
Wenn es Reproduktion, Cross-over und Mutation gibt, wächst fast jedes kompakte Gen-Cluster, das überdurchschnittliche Tauglichkeit gewährleistet, in der Population exponentiell an2in: Inseln im Chaos. Die Erforschung komplexer Systeme .
Mit Schema bezeichnete Holland jedes spezielle Genmuster.
Genetische Algorithmen und das Schema-Theorem allein nicht ausreichend
Holland selbst war mit der Entdeckung der genetischen Algorithmen noch nicht ganz zufrieden.
Mit dem genetischen Algorithmus und dem Schema-Theorem war die Evolution in ihren Grundzügen erfasst, davon war er weiterhin überzeugt. Doch wurde er das Gefühl nicht los, dass sein auf dem genetischen Algorithmus basierendes Modell der Evolution noch viel zu skeletthaft war. Irgend etwas fehlte offenbar einer Theorie, in der «Organismen» lediglich von einem Programmierer entworfene Stücke der DNA sind. Was konnte ein solche Theorie über komplexe Lebewesen aussagen, die sich in einer komplexen Umwelt herausbilden? Nichts. Der genetische Algorithmus war für sich allein einfach noch kein adaptives Agens3in: Inseln im Chaos. Die Erforschung komplexer Systeme .
complex adaptive systems
Holland gelangte bei seinen Forschungen weiterhin zu dem Schluss, dass in komplexen Systemen kein dauerhaftes Gleichgewicht herrschen kann und die Evolution sich nicht an heuristische Regeln und Leitfäden orientiert. Um zu überleben, müssen komplexe Systeme sich an die Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen — sie müssen lernen. Das brachte ihn und seine Mitstreiter am Santa Fe Institute auf den Gedanken, solche Systeme als komplexe, adaptive Systeme zu bezeichnen (complex adaptive systems — cas). Eine wichtige Rolle übernehmen dabei Agenten.
Viele .. komplexe Systeme zeigen Kohärenz im Angesicht des Wandels. Aber wir können bereits einige der Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Wir können zum Beispiel sehen, dass die Kohärenz und das Fortbestehen jedes Systems von umfangreichen Interaktionen, der Aggregation verschiedener Elemente und der Anpassung für das Lernen abhängen. … Wir werden sehen, dass Volkswirtschaften, das Internet und sich entwickelnde Embryonen ähnliche Herausforderungen bieten — Handelsbilanzen, Computerviren und Geburtsfehler zum Beispiel — und wir werden noch anderen begegnen. Auch wenn sich diese komplexen Systeme im Detail unterscheiden, ist die Frage nach der Kohärenz im Wandel das zentrale Rätsel für alle. Dieser gemeinsame Faktor ist so wichtig, dass wir am Santa Fe Institute4vgl. dazu: Inseln im Chaos. Die Erforschung komplexer Systeme diese Systeme unter einer gemeinsamen Überschrift zusammenfassen und sie als komplexe adaptive Systeme (cas) bezeichnen. Dies ist mehr als nur eine Terminologie. Es signalisiert unsere Intuition, dass allgemeine Prinzipien das Verhalten von cas bestimmen, Prinzipien, die Wege zur Lösung der damit verbundenen Probleme aufzeigen (in: Hidden Order. How Adaptation builds compexity).
Die Vielfalt der cas ist ein dynamisches Muster, das oft beständig und kohärent ist, wie eine stehende Welle. Wenn man die Welle stört, z. B. mit einem Stock oder einem Paddel, erholt sich die Welle schnell wieder, sobald die Störung beseitigt ist. Ähnlich verhält es sich bei cas: Ein Interaktionsmuster, das durch das Aussterben von Komponenten gestört wurde, stellt sich oft wieder her, obwohl sich die neuen Agenten im Detail von den alten unterscheiden können. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Muster der stehenden Welle und den cas-Mustern: Cas-Muster entwickeln sich. Die bei cas beobachtete Vielfalt ist das Ergebnis fortschreitender Anpassungen. Jede neue Anpassung eröffnet die Möglichkeit für weitere Interaktionen und neue Nischen (ebd.).