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Mil­lio­nen Men­schen ver­brin­gen ihre Arbeit­stage in Tätigkeit­en, die sie selb­st für nut­z­los hal­ten. Der Anthro­pologe David Grae­ber nan­nte sie „Bull­shit-Jobs” – eine Pro­voka­tion, die eine längst fäl­lige Debat­te aus­löste. Doch wie viele solch­er Jobs gibt es wirk­lich? Und liegt das Prob­lem in der Arbeit selb­st oder in den Struk­turen, die sie her­vor­brin­gen?


Es gibt einen beson­deren Schmerz, der sich ein­stellt, wenn man Mon­tag­mor­gen vor dem Com­put­er sitzt und weiß: Was ich heute tue, ist vol­lkom­men belan­g­los. Nicht anstren­gend, nicht schwierig – ein­fach über­flüs­sig. Der Anthro­pologe David Grae­ber gab diesem dif­fusen Unbe­ha­gen 2013 einen Namen: Bull­shit-Jobs. Seine These war radikal: Ein erhe­blich­er Teil der mod­er­nen Erwerb­sar­beit beste­ht aus Tätigkeit­en, die wed­er dem Einzel­nen noch der Gesellschaft einen erkennbaren Nutzen brin­gen. Schlim­mer noch: Die Betrof­fe­nen wis­sen das – und müssen sich täglich selb­st belü­gen.

Grae­ber sprach von „geistiger Gewalt”, von ein­er Form der Ent­frem­dung, die tiefer greift als kör­per­liche Aus­beu­tung. Wer acht Stun­den am Tag E‑Mails weit­er­leit­et, die nie­mand liest, wer Berichte erstellt, die in Schubladen ver­schwinden, wer Meet­ings koor­diniert, deren Ergeb­nisse fol­gen­los bleiben – der wird zum Kom­plizen der eige­nen Bedeu­tungslosigkeit. Die moralis­che Dimen­sion dieser Diag­nose ist beträchtlich: Eine Gesellschaft, die Men­schen zwingt, ihre Zeit in erkennbar sinnlosen Tätigkeit­en zu ver­brin­gen, zer­stört nicht nur Pro­duk­tiv­ität, son­dern auch Würde.

Trans­for­ma­tion als Maßstab

Der Sozialan­thro­pologe Andrew Sanchez bringt eine wichtige Dif­feren­zierung ein. Arbeit wird dann als befriedi­gend erlebt, wenn sie Trans­for­ma­tion ermöglicht – wenn man durch sie die Welt, andere Men­schen oder sich selb­st verän­dert. Das Prob­lem viel­er Jobs liegt also nicht unbe­d­ingt in ihrer objek­tiv­en Nut­zlosigkeit, son­dern in der fehlen­den Erfahrung von Wirk­samkeit. Sanchez kri­tisiert zugle­ich Grae­bers Kap­i­tal­is­muskri­tik als zu eindi­men­sion­al: Der Kap­i­tal­is­mus mag viele Übel her­vor­brin­gen, aber seine zen­trale Moti­va­tion bleibt der Prof­it. „Sinnlose” Tätigkeit­en existieren sel­ten völ­lig außer­halb dieser Logik – oft erfüllen sie organ­i­sa­tionale Funk­tio­nen, die nur nicht unmit­tel­bar erkennbar sind.

Zudem warnt Sanchez vor vorschnellen moralis­chen Urteilen. Selb­st objek­tiv destruk­tive Tätigkeit­en – etwa in der Wer­bung, im Glücksspiel oder in bes­timmten Bere­ichen der Finanzin­dus­trie – kön­nen sub­jek­tiv als erfül­lend erlebt wer­den, wenn sie Kön­ner­schaft, Kreativ­ität oder soziale Anerken­nung ermöglichen. Die Frage nach dem Sinn von Arbeit ist also kom­plex­er, als Grae­ber sug­geriert.

Die Größe macht den Unter­schied

David Heine­meier Hans­son, Unternehmer und Soft­wa­reen­twick­ler, lenkt den Blick auf die organ­i­sa­tionale Dimen­sion. Große Unternehmen, so seine These, erzeu­gen struk­turell Bull­shit-Jobs. Je größer die Organ­i­sa­tion, desto mehr Schicht­en von Bürokratie, Risiko­man­age­ment und Ver­ant­wor­tungs­d­if­fu­sion entste­hen. In einem Konz­ern mit 50.000 Mitar­beit­ern kann sich nie­mand mehr ein klares Bild davon machen, wer tat­säch­lich Wert schafft und wer nur Papi­er bewegt. Die Intrans­parenz wird zur Über­lebensstrate­gie für Posi­tio­nen ohne erkennbaren Out­put.

Kleine Unternehmen hinge­gen sind gnaden­los trans­par­ent. Dort sieht jed­er, wer pro­duk­tiv ist und wer nicht. Han­sons War­nung ist ein­dringlich: Das größte Risiko im mod­er­nen Arbeit­sleben sei nicht mehr die Arbeit­slosigkeit, son­dern das langsame „Ver­rosten” in ein­er Posi­tion, die einen wed­er fordert noch wertschätzt – ein Zus­tand, der langfristig die beru­fliche Iden­tität beschädigt.

Die empirische Ernüchterung

Eine großan­gelegte Studie der Uni­ver­sitäten Cam­bridge und Birm­ing­ham brachte 2023 ernüchternde Zahlen. Nur etwa 4,8 Prozent der Befragten hiel­ten ihre Arbeit für sel­ten oder nie nüt­zlich – weit weniger als Grae­bers ver­mutete 20 bis 50 Prozent. Sind Bull­shit-Jobs also nur eine akademis­che Fik­tion, eine Pro­jek­tion priv­i­legiert­er Intellek­tueller?

Nicht ganz. Denn die Studie bestätigte die psy­chol­o­gis­chen Ker­naus­sagen: Men­schen, die ihre Arbeit als nut­z­los empfind­en, lei­den sig­nifikant häu­figer unter psy­chis­chen Belas­tun­gen. Entschei­dend ist allerd­ings: Der Sin­nver­lust entste­ht weniger aus der Tätigkeit selb­st als aus den Arbeits­be­din­gun­gen. Man­gel­nder Respekt durch Vorge­set­zte, inef­fizientes Man­age­ment, per­ma­nen­ter Zeit­druck und fehlende Autonomie – das sind die eigentlichen Treiber der Ent­frem­dung. Der Sozi­ologe Bren­dan Burchell for­muliert es so: Grae­bers Ver­di­enst liegt nicht in der Quan­tifizierung, son­dern darin, das The­ma psy­chol­o­gis­ch­er Sin­nver­lust über­haupt wieder auf die Agen­da geset­zt zu haben.

Der Leer­lauf der Ratio­nal­ität

Hen­rique Schnei­der und Gunter Dueck erweit­ern die Kri­tik zur Sys­te­m­analyse. Das Prob­lem ist nicht nur die Größe von Organ­i­sa­tio­nen, son­dern die Logik der „Überver­wal­tung” selb­st. Mod­erne Arbeitswel­ten sind durch­set­zt von Evaluations‑, Kon­troll- und Doku­men­ta­tion­sprozessen, die sich längst verselb­st­ständigt haben. Jede Tätigkeit muss mess­bar sein, jed­er Erfolg quan­tifizier­bar, jed­er Prozess stan­dar­d­isiert. Das Ergeb­nis: selb­stre­f­eren­zielle Bürokra­tien, die sich primär mit sich selb­st beschäfti­gen.

Dueck spricht vom „Leer­lauf der Ratio­nal­ität” – ein­er Kul­tur, die den Sinn aus der Arbeit her­aus­definiert, weil sie nur noch Effizien­zkenn­zahlen ken­nt, nicht aber kreative oder men­schliche Maßstäbe. In großen Organ­i­sa­tio­nen über­leben solche „Fülljobs” beson­ders leicht, weil Aufwand und Ver­ant­wor­tung entkop­pelt sind. Man pro­duziert Berichte, die andere Berichte legit­imieren sollen, die wiederum die Grund­lage für weit­ere Berichte bilden – ein Kreis­lauf ohne Außen­bezug.

Die Mas­chine als Sin­nrichter

Und nun kommt die Tech­nolo­gie ins Spiel – aus­gerech­net sie, die einst ver­sprach, uns von sinnlos­er Rou­tin­ear­beit zu befreien. Gen­er­a­tive KI und fort­geschrit­tene Robotik stellen die Bull­shit-Jobs-Debat­te auf den Kopf, denn sie enthüllen eine para­doxe Wahrheit: Viele der Tätigkeit­en, die Men­schen als sinn­los empfind­en, erweisen sich als zu kom­plex für Maschi­nen. Und umgekehrt: Manch­es, was als bedeut­sam galt, lässt sich automa­tisieren.

Die bit­tere Ironie beste­ht darin, dass KI-Sys­teme aus­gerech­net jene admin­is­tra­tiv­en, doku­men­tieren­den und klas­si­fizieren­den Tätigkeit­en übernehmen kön­nten, die Grae­ber als Bull­shit-Jobs iden­ti­fizierte. Berichte schreiben, Dat­en zusam­men­fassen, Rou­tineko­r­re­spon­denz führen – genau das, was Men­schen ent­fremdet, macht Algo­rith­men nichts aus. Sie lei­den nicht unter Sinnlosigkeit. Die Frage ist nur: Was geschieht mit den Men­schen, deren Jobs zwar als „Bull­shit” gal­ten, aber immer­hin ein Einkom­men sicherten?

Gle­ichzeit­ig zeigt sich: Viele ver­meintlich „wertvolle” kreative oder ana­lytis­che Tätigkeit­en lassen sich teil­weise automa­tisieren – während aus­gerech­net Pflege, Handw­erk und per­sön­liche Dien­stleis­tun­gen, also Tätigkeit­en mit unmit­tel­barem Trans­for­ma­tion­scharak­ter, sich der Automa­tisierung entziehen. Die Tech­nolo­gie kön­nte somit zu einem unfrei­willi­gen Prüf­stein wer­den: Was wirk­lich Sinn macht, zeigt sich daran, was Men­schen anderen Men­schen bedeutet – und was nur for­maler Vol­lzug ist.

Doch die Automa­tisierungs­de­bat­te dro­ht eine zen­trale Ein­sicht zu ver­schleiern: Nicht die Exis­tenz von Bull­shit-Jobs ist das Kern­prob­lem, son­dern die Bedin­gun­gen, unter denen gear­beit­et wird. Selb­st wenn KI die über­flüs­si­gen Tätigkeit­en eli­m­iniert – was geschieht, wenn die verbleiben­den Jobs unter densel­ben Bedin­gun­gen stat­tfind­en? Unter man­gel­n­dem Respekt, per­ma­nen­ter Kon­trolle, fehlen­der Autonomie? Dann hät­ten wir nur effizien­tere Ent­frem­dung geschaf­fen.

Die tech­nol­o­gis­che Dis­rup­tion zwingt uns also zu ein­er Grund­satzfrage: Wollen wir Arbeit primär als Einkom­men­squelle oder als Quelle von Sinn und Iden­tität ver­ste­hen? Wenn KI tat­säch­lich einen großen Teil der Erwerb­sar­beit über­flüs­sig macht, müssen wir neu definieren, wie Men­schen Bedeu­tung, Anerken­nung und materielle Sicher­heit gewin­nen. Das bedin­gungslose Grun­deinkom­men, verkürzte Arbeit­szeit­en, neue For­men der Wertschöp­fung – all das sind keine utopis­chen Spin­nereien mehr, son­dern Antworten auf eine Real­ität, in der die Mas­chine zum Sin­nrichter wird.

Entkop­plung von Sinn und Struk­tur

Was bleibt von der Bull­shit-Jobs-Debat­te im Zeital­ter intel­li­gen­ter Maschi­nen? Grae­ber hat eine Wunde berührt, die nun tech­nol­o­gisch aufgeris­sen wird. Das eigentliche Prob­lem liegt in der zunehmenden Entkop­plung von Sinn, Ver­ant­wor­tung und Wirkung in mod­er­nen Arbeitsver­hält­nis­sen – und diese Entkop­plung wird durch Automa­tisierung nicht ver­schwinden, son­dern sich möglicher­weise ver­schär­fen.

Die Lösung kann nicht darin beste­hen, ein­fach „sinnlose” Stellen zu stre­ichen oder durch Algo­rith­men zu erset­zen. Vielmehr geht es darum, Arbeits­be­din­gun­gen zu schaf­fen, in denen Men­schen Autonomie erleben, Respekt erfahren und die Auswirkun­gen ihres Han­delns nachvol­lziehen kön­nen. Trans­for­ma­tion braucht Trans­parenz. Und vielle­icht auch: kleinere Ein­heit­en, kürzere Entschei­dungswege, weniger Kon­trolle, mehr Ver­trauen – ger­ade weil Maschi­nen uns immer mehr Rou­ti­nen abnehmen.

Am Ende geht es nicht um die Frage, ob ein Job „Bull­shit” ist oder ob ihn dem­nächst ein Algo­rith­mus erledigt. Es geht darum, ob ein Men­sch in sein­er Arbeit sich selb­st wieder­erken­nen kann – oder ob er jeden Abend nach Hause geht mit dem Gefühl, einen weit­eren Tag gegen seine eigene Überzeu­gung gelebt zu haben. Die Maschi­nen wer­den uns diese Frage nicht abnehmen. Im Gegen­teil: Sie machen sie dringlich­er denn je.


Quelle:

Bull­shit Jobs

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