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Deutschland investiert €20 Millionen in ein KI-Sprachmodell namens SOOFI und verkauft dies als Schritt zur digitalen Souveränität. In Wahrheit offenbart das Projekt die ganze Problematik deutscher Innovationspolitik: Konsortialstrukturen statt Execution, Regulierungs-Fetischismus statt technischer Exzellenz, Symbolpolitik statt ernsthafte Wettbewerbsfähigkeit. Was als europäische Alternative zu ChatGPT beginnt, droht als nächstes Gaia‑X zu enden – ein weiteres Kapitel deutscher Digitalvergeblichkeit.
Es gibt Momente, in denen sich die Logik eines Systems in einem einzigen Projekt kristallisiert. SOOFI – “Sovereign Open Source Foundation Models for European Intelligence” – ist ein solcher Moment für die deutsche Innovationspolitik. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert das Vorhaben bis Juli 2026 mit 20 Millionen Euro, um ein offenes KI-Sprachmodell mit 100 Milliarden Parametern zu entwickeln, das europäischen Unternehmen als Basis für eigene KI-Anwendungen dienen soll. Während Meta allein 2024 über $38 Milliarden in KI-Infrastruktur investierte und OpenAI monatlich mehr Geld für Rechenkapazität verbrennt als Deutschland für sein gesamtes Souveränitätsprojekt bereitstellt, soll hier mit dem Bruchteil dessen die digitale Unabhängigkeit Europas gesichert werden.
Die Architektur des Projekts liest sich wie ein Lehrstück in organisierter Verantwortungslosigkeit. Sechs deutsche Forschungseinrichtungen – Fraunhofer IAIS, Fraunhofer IIS, DFKI, die Universitäten Würzburg und Hannover, die TU Darmstadt, die Berliner Hochschule für Technik – und zwei Startups, Ellamind und Merantix Momentum, vereinen sich unter Konsortialführung des KI Bundesverbands. Acht Institutionen, jede mit eigenen Agenden, Publikationslogiken und Karrierekalkülen. Was in der Ankündigung als “Bündelung führender Expertise” verkauft wird, bedeutet in der Praxis: endlose Koordinationstreffen, divergierende Zielsysteme, maximale Konsensfindung bei minimaler Handlungsgeschwindigkeit.
Niklas Luhmann hätte seine helle Freude an diesem Konstrukt. Das politische System erzeugt hier ein Projekt, das primär seine eigenen Legitimitätsprobleme adressiert – “Wir tun etwas für digitale Souveränität” –, nicht aber technologische Notwendigkeiten. SOOFI erfüllt seine Funktion bereits durch seine bloße Existenz als Antwort auf Souveränitäts-Diskurse. Ob das Modell technisch erfolgreich wird, ob es industrielle Adoption findet, ob es wettbewerbsfähig ist – all dies ist für das politische System sekundär. Die prozessurale Korrektheit der Förderung, die ordnungsgemäße Mittelverwendung, die termingerechte Abgabe von Meilensteinberichten: Das sind die Erfolgskriterien, an denen das Projekt gemessen wird, nicht an technologischer Durchschlagskraft.
Diese bürokratische Rationalität durchzieht das gesamte Vorhaben. Das fertige Modell soll den Anforderungen des EU AI Act entsprechen, wird stolz verkündet – während es noch nicht einmal existiert. Deutsche Projekte beginnen mit Compliance-Überlegungen statt mit technischer Exzellenz. Man stelle sich vor, OpenAI hätte vor dem Training von GPT‑4 erstmal zwei Jahre Zertifizierungsprozesse durchlaufen müssen. Die €20 Millionen werden zu erheblichen Teilen in juristische Absicherung, Regulierungs-Compliance und Governance-Strukturen fließen – Kosten, die amerikanische Konkurrenten erst nachträglich tragen, wenn überhaupt, und die meist in Relation zum generierten Umsatz stehen, nicht zum Entwicklungsbudget.
Die Vorgeschichte sollte als Warnung dienen, wird aber als Referenz gefeiert. SOOFI soll das bisherige europäische Modell Teuken7B mit 7 Milliarden Parametern ablösen, ein Forschungsartefakt, von dem außerhalb akademischer Zirkel praktisch niemand je gehört hat. Teuken hatte keinen Chatbot, keine nennenswerte Adoption, keine industrielle Relevanz. Es blieb das, was deutsche KI-Projekte meistens bleiben: Gegenstand von Papers, nicht von Produkten. Ein System, das in Dissertationen zitiert wird, aber in keinem Produktionssystem läuft. SOOFI droht exakt derselbe Pfad: ein 100-Milliarden-Parameter-Modell “tailored to European languages”, das in drei Jahren in einigen Behörden-Pilotprojekten vor sich hin dämmert, während die Welt längst ChatGPT 6 oder Claude 5 nutzt.
Die technische Infrastruktur offenbart die nächste Ebene der Abhängigkeit, die man mit Souveränitäts-Rhetorik zu kaschieren versucht. Das Training des Modells findet in der Industrial AI Cloud der Deutschen Telekom statt, die T‑Systems als souveräne KI-Recheninfrastruktur bereitstellt. Ab März 2026 wird ein Verbund aus rund 130 NVIDIA DGX B200 Systemen mit insgesamt über 1.000 GPUs exklusiv für das europäische Sprachmodell SOOFI betrieben. Man trainiert also auf NVIDIA-Hardware, die in amerikanisch kontrollierten Lieferketten produziert wird, mit Frameworks von Meta und Google, auf Basis von CUDA-Architekturen, die einem kalifornischen Konzern gehören. Die “Souveränität” beschränkt sich darauf, dass die Server physisch auf deutschem Boden stehen – als hätte die NSA jemals Probleme gehabt, Daten abzugreifen, nur weil die Hardware in Frankfurt statt in Virginia steht.
Echte technologische Souveränität erfordert eine gesamte Wertschöpfungskette: Chipproduktion (fehlt komplett), eigene GPU-Architekturen (nicht existent), Cloud-Infrastruktur im Exascale-Bereich (abhängig von US-Hyperscalern), Risikokapital für KI-Startups (marginal), Talentdichte (abwandernd). Ein Sprachmodell zu trainieren, während man für jeden einzelnen Baustein dieser Kette von amerikanischen oder chinesischen Playern abhängig ist, und dies als Souveränität zu verkaufen, ist intellektuelle Blindheit oder strategische Naivität. Vermutlich beides.
Das Konsortium plant nicht nur ein Basismodell, sondern auch ein sogenanntes Reasoning-Modell, das durch strukturiertes Denken komplexe Aufgaben lösen kann Oiger. Reasoning-Modelle seien für die deutsche Industrie von großer Bedeutung, weil sie komplexe technische, regulatorische und organisatorische Zusammenhänge analysieren, logisch miteinander verknüpfen und auf dieser Grundlage fundierte Entscheidungen treffen können, heißt es aus dem KI Bundesverband. Die Ironie ist kaum zu überbieten: Man entwickelt KI-Systeme, die angeblich komplexe Zusammenhänge analysieren und fundierte Entscheidungen treffen können, während die Institutionen, die diese Systeme entwickeln, genau dazu strukturell unfähig sind. Deutsche Konsortien können keine schnellen Entscheidungen treffen, keine Ressourcen radikal konzentrieren, keine Risiken eingehen – aber sie sollen KI-Systeme bauen, die all dies können?
Die Finanzierungssumme ist nicht nur absolut, sondern auch relativ lächerlich. SOOFI ist Teil der 8ra-Initiative, einem Zusammenschluss von zwölf EU-Mitgliedstaaten und verschiedenen Unternehmen, die die digitale Souveränität Europas vorantreiben wollen. Zwölf Länder, Hunderte Millionen Bürger, trilliardenschwere Volkswirtschaften – und das gemeinsame KI-Projekt wird mit €20 Millionen ausgestattet. Das ist weniger ein Investitionsprogramm als ein Witz auf Kosten der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Zum Vergleich: Ein einzelnes mittelgroßes KI-Startup im Silicon Valley raised in einer Series-B-Runde mehr Kapital als ganz Europa hier für ein strategisches Souveränitätsprojekt aufbringt.
Man könnte argumentieren, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern um Struktur, Talent, Execution. Richtig – und genau dort liegt das noch größere Problem. Deutsche Förderstrukturen verlangen detaillierte Businesspläne für Technologien, deren Marktpotenzial per Definition unkalkulierbar ist. Die Mittel müssen nachweisbar verausgabt werden, Meilensteine erreicht, Verwertungspläne vorgelegt werden. Innovation unter Aufsicht der Bundeshaushaltsordnung – das Gegenteil dessen, was disruptive Technologieentwicklung benötigt. Während chinesische KI-Projekte mit staatlicher Rückendeckung binnen Monaten skalieren und amerikanische Startups radikale Pivots vollziehen, wird in Deutschland erstmal ein Beirat konstituiert, ein Gutachterverfahren durchlaufen, ein Konsortialvertrag ausgehandelt.
Die Rhetorik rund um SOOFI bedient sich der üblichen Formeln. “Soofi bietet uns die Gelegenheit, unsere Forschung im Bereich LLMs weiterzuführen, Kooperationen innerhalb Deutschlands und Europas zu intensivieren und hochmotivierte Talente in Deutschland zu halten”, erklärt der Teamleiter Foundation Models am Fraunhofer IAIS. Übersetzt: Wir können weiter Papers publizieren, PhD-Stellen finanzieren und Konferenzen besuchen. Dass “hochmotivierte Talente” in Deutschland gehalten werden durch TVöD-Besoldung und akademische Projektstrukturen, während Google ihnen $500k Einstiegsgehalt plus Stock Options bietet, ist eine heroische Annahme.
Was hier als Souveränitätsprojekt inszeniert wird, ist in Wahrheit die Fortsetzung einer langen Serie gescheiterter Digitalinitiativen: De-Mail, das Verkehrsministerium unter Scheuer mit seinen diversen Maut- und Digital-Desastern, Gaia‑X als Paradebeispiel für europäische Governance-Paralyse, Catena‑X als nächstes Konsortial-Phantom. SOOFI reiht sich nahtlos ein. Die Mechanismen sind identisch: große Ankündigungen, Souveränitäts-Rhetorik, Konsortialstrukturen, Unterfinanzierung, regulatorische Vorab-Compliance, akademische statt industrielle Logik. Und am Ende steht ein weiteres “Leuchtturmprojekt”, das primär Konferenzräume erleuchtet, nicht Märkte.
Das eigentlich Tragische ist nicht das Scheitern einzelner Projekte, sondern die systematische Unfähigkeit, aus diesen Misserfolgen zu lernen. Die deutsche Innovationspolitik operiert in einer selbstreferenziellen Schleife: Man identifiziert Abhängigkeiten (von US-Tech), formuliert Souveränitätsziele, designed Konsortien, vergibt Förderung, produziert Papers und Berichte, scheitert technologisch, identifiziert neue Abhängigkeiten, startet das nächste Konsortium. Der Kreislauf schließt sich, ohne je die strukturellen Ursachen anzugehen: die institutionelle Risikoaversion, die Unmöglichkeit radikaler Ressourcenkonzentration, die Inkompatibilität von Haushaltsrecht und disruptiver Innovation, die Talentflucht, die Regulierungsversessenheit.
Max Weber hätte dies als klassisches Beispiel für die Rationalisierungsfalle moderner Bürokratien analysiert: Ein System, das so sehr auf formale Rationalität fixiert ist – ordnungsgemäße Verfahren, Transparenz, Kontrolle –, dass es substantielle Rationalität – tatsächliche Zielerreichung – verhindert. Die Mittel werden zum Selbstzweck, der Zweck gerät aus dem Blick. SOOFI wird prozedural korrekt abgewickelt werden, alle Berichte werden fristgerecht eingereicht, alle Meilensteine formal erreicht. Und am Ende wird ein Modell existieren, das niemand nutzt, weil es längst von der technologischen Realität überholt wurde.
Was wäre die Alternative? Eine DARPA für Europa, ausgestattet mit Milliarden-Budgets und der Freiheit, Projekte bei Misserfolg binnen Monaten zu beenden und Ressourcen radikal umzuschichten. Gehälter für KI-Talente, die mit dem Silicon Valley konkurrieren können. Regulatorische Zurückhaltung: erst Technologie ermöglichen, dann regulieren, nicht umgekehrt. Konzentration auf ein oder zwei Großprojekte statt Zersplitterung in Dutzende Konsortien. Risikobudgets, die Scheitern nicht nur tolerieren, sondern einkalkulieren. All dies widerspricht fundamental der Logik deutscher und europäischer Governance – und genau deshalb wird es nicht passieren.
SOOFI wird in drei Jahren abgeschlossen sein. Es wird Papers gegeben haben, Konferenzen, Berichte über “lessons learned”. Ein Modell wird existieren, vielleicht sogar funktionsfähig, zweifellos EU-AI-Act-konform. Es wird in einigen Behörden-Pilotprojekten laufen, in universitären Forschungsprojekten eingesetzt werden.
Und die Welt wird weitergezogen sein, die Abhängigkeit von amerikanischer und chinesischer KI-Technologie wird gewachsen, nicht geschrumpft sein. Die €20 Millionen werden dann als “wichtiger erster Schritt” verbucht, als “Grundstein für weitere Initiativen”. Und irgendein Ministerium wird das nächste Konsortium ankündigen, das nächste Souveränitätsprojekt, den nächsten “wichtigen Schritt”.
Der Kreislauf dreht sich weiter. Digitale Souveränität durch Förderanträge bleibt, was sie immer war: eine Illusion zur Beruhigung des politischen Systems, nicht eine Strategie zur Erlangung technologischer Wettbewerbsfähigkeit. SOOFI ist nicht die Lösung des Problems deutscher Digitalinkompetenz. Es ist dessen jüngstes Symptom.
Quellen:
“Soofi: Deutschland soll souveränes KI-Sprachmodell entwickeln”
heise online
Veröffentlicht: November 2025
“Forscher trainieren Europa-KI „Soofi” für deutsche Industrie”
Veröffentlicht: 19. November 2025
URL: https://oiger.de/2025/11/19/forscher-trainieren-europa-ki-soofi-fuer-deutsche-industrie/195748
“Europas Antwort auf US-KI: Telekom trainiert Mega-Sprachmodell mit 100 Milliarden Parametern”
InsideBW
Veröffentlicht: November 2025
URL: https://www.insidebw.de/europas-antwort-auf-us-ki-telekom-trainiert-mega-sprachmodell-mit-100-milliarden-parametern
“Deutsches Forschungskonsortium stellt SOOFI vor: Was die Open-Source-KI für die EU leisten soll”
t3n
Veröffentlicht: November 2025
URL: https://t3n.de/news/deutsches-forschungskonsortium-stellt-soofi-vor-was-die-open-source-ki-fuer-die-eu-leisten-soll-1717372/
“Europäische Souveränität: Telekom trainiert das Sprachmodell der Zukunft in ihrer KI-Fabrik”
Deutsche Telekom (Pressemitteilung)
Veröffentlicht: November 2025
URL: https://www.telekom.com/de/medien/medieninformationen/detail/uni-hannover-auf-industrial-ai-cloud-1099500
