Kün­stliche Intel­li­genz kön­nte bis 2030 jährlich 30 Bil­lio­nen Dol­lar zur Weltwirtschaft beitra­gen. Doch wer prof­i­tiert davon? Die entschei­dende Frage unser­er Zeit lautet nicht, ob die Trans­for­ma­tion kommt, son­dern ob sie zu mehr Teil­habe führt – oder zu neuen Auss­chlüssen. Die Antwort liegt nicht in der Tech­nolo­gie. Sie liegt bei uns.


Tech­nik als Ver­sprechen – und als Verzögerung

Die Geschichte großer Inno­va­tio­nen fol­gt einem Muster: Rev­o­lu­tionäre Tech­nolo­gien ent­fal­ten ihre Wirkung erst, wenn Gesellschaften sie in neue For­men von Leben über­set­zen. Elek­triz­ität war in den 1880er Jahren ver­füg­bar, doch erst vierzig Jahre später änderten Fab­riken ihre Grun­drisse, Architek­ten ihr Bauen, Men­schen ihre Arbeitsweisen. Ähn­lich das Auto­mo­bil, der Com­put­er, das Inter­net. Der Wen­depunkt lag nie im Labor, son­dern in der gesellschaftlichen Aneig­nung.

Wal­ter Ben­jamin nan­nte Tech­nik einen Schock, der erst kul­turell ver­ar­beit­et wer­den muss. Alvin Tof­fler sprach vom „Zukun­ftss­chock“ – dem Moment, in dem beschle­u­nigter Wan­del Men­schen über­fordert, weil die sozialen, poli­tis­chen und psy­chis­chen Anpas­sungsmech­a­nis­men zu langsam sind. Tech­nik ver­spricht Beschle­u­ni­gung, Gesellschaft ver­langt Ver­langsamung. Dazwis­chen klafft der Raum, in dem über Teil­habe oder Auss­chluss entsch­ieden wird.

Simon­don und der „Unbes­timmtheitsspiel­raum“

Der franzö­sis­che Philosoph Gilbert Simon­don ver­stand Tech­nik nicht als neu­trale Mas­chine, son­dern als Prozess der Ko-Evo­lu­tion. Tech­nis­che Objek­te, so seine These, durch­laufen eine „Konkretisierung“: Sie wer­den kom­plex­er, ver­net­zter, inte­gri­eren mehr Funk­tio­nen. Doch ihr Sinn entste­ht erst, wenn Men­schen sie deuten, inter­pretieren, miteinan­der verbinden.

Hier liegt der Schlüs­sel­be­griff: der Unbes­timmtheitsspiel­raum. Tech­nik ist nie voll­ständig, sie bleibt offen, mehrdeutig, unvoll­ständig. Und genau dort, wo Maschi­nen schweigen, wo sie Lück­en lassen, begin­nt die eigentliche Domäne men­schlich­er Arbeit – Urteil, Kreativ­ität, sys­temis­ches Denken, Empathie.

Doch dieser Spiel­raum ist nicht selb­stver­ständlich zugänglich. Heute sind es Pro­duk­t­man­ag­er, Sys­temar­chitek­ten, Strate­gieber­ater, die zwis­chen Sys­te­men ver­mit­teln. Hochspezial­isierte Rollen, konzen­tri­ert in bes­timmten Regio­nen, Net­zw­erken, Bil­dungss­chicht­en. Die entschei­dende Frage lautet: Wer darf den Spiel­raum betreten?

KI zwis­chen Ko-Evo­lu­tion und Zukun­ftss­chock

Gen­er­a­tive KI markiert eine Zäsur, deren Dimen­sion alles Bish­erige über­steigen kön­nte. Prog­nosen sprechen von 30 Bil­lio­nen Dol­lar zusät­zlich­er Wertschöp­fung bis 2030. Sie kann 70 Prozent der Arbeit­sauf­gaben unter­stützen oder automa­tisieren. Doch ob daraus Tof­flers Zukun­ftss­chock oder Simon­dons Ko-Evo­lu­tion entste­ht, hängt nicht von den Algo­rith­men ab, son­dern von den Struk­turen, in die wir sie ein­bet­ten.

Tof­flers Diag­nose wirkt bedrück­end aktuell: Wenn Verän­derung zu schnell kommt, entste­hen Abwehr, Spal­tung, Ohn­macht. Die Ver­suchung der Automa­tisierung ist groß: Sie spart Kosten, reduziert Kom­plex­ität, eli­m­iniert die Unbes­timmtheit. Doch in diesem Eli­m­inieren liegt auch die Gefahr: Der Spiel­raum, der eigentlich men­schliche Ent­fal­tung ermöglichen soll, wird geschlossen – und mit ihm die Möglichkeit echter Teil­habe.

Zwei Szenar­ien für die KI-Ökonomie

  • Szenario 1: Die Spal­tung. Eine Min­der­heit eignet sich die Rollen der Ver­mit­tlung an, während die Mehrheit erset­zt wird – nicht durch böse Absicht, son­dern durch Effizien­zlogik. Der Zukun­ftss­chock mate­ri­al­isiert sich als soziale Kluft.
  • Szenario 2: Die Demokratisierung. Die „Human Skills“ – Urteilsver­mö­gen, Kreativ­ität, soziale Inter­ak­tion – wer­den bre­it ver­mit­telt.Bil­dungssys­teme bere­it­en nicht mehr auf Berufe von gestern vor, son­dern auf kon­tinuier­liche Anpas­sung. Organ­i­sa­tio­nen investieren nicht nur in Automa­tisierung, son­dern in Weit­er­bil­dung. Der Spiel­raum bleibt offen – und viele kön­nen ihn betreten.

Infra­struk­tur der Teil­habe

Das ist keine Utopie. Das Human Skills Frame­work etwa iden­ti­fiziert 32 Fähigkeit­en und 16 Denkweisen, die für die KI-Ökonomie entschei­dend sind – und die entwick­el­bar sind. Kreativ­ität ist keine genetis­che Aus­nahme, son­dern eine trainier­bare Prax­is. Urteil­skraft wächst durch Übung. Inter­ak­tion lässt sich lehren.

Doch Tof­flers War­nung bleibt: Ohne die passenden Insti­tu­tio­nen führt Beschle­u­ni­gung nicht zu Befähi­gung, son­dern zu Erschöp­fung. Teil­habe ist kein Naturge­setz. Sie ver­langt Infra­struk­tur: Weit­er­bil­dung als gesellschaftliche Pflich­tauf­gabe, Exper­i­men­tier­räume für Arbei­t­ende, Bil­dungsstrate­gien, die nicht nur Eliten erre­ichen.

Jen­seits des Tech­nikde­ter­min­is­mus

Inno­va­tion­sökosys­teme entste­hen nicht automa­tisch. Sil­i­con Val­ley war kein Natur­phänomen, son­dern Ergeb­nis von Investi­tio­nen, Mil­itär­pro­gram­men, Bil­dungspoli­tik. Auch heute entschei­den poli­tis­che und wirtschaftliche Weichen­stel­lun­gen darüber, ob die KI-Trans­for­ma­tion inklu­siv oder exk­lu­siv ver­läuft.

Simon­don zeigt: Tech­nik entwick­elt sich nicht isoliert, son­dern mit uns. Tof­fler erin­nert: Beschle­u­ni­gung ohne Über­set­zung erzeugt Schock. Dazwis­chen liegt die Auf­gabe unser­er Zeit: die Über­set­zung zu ermöglichen – und zwar für viele, nicht für wenige.

Schluss: Die offene Zukun­ft

Die Zukun­ft der Tech­nolo­gie ist offen. Sie kann selek­tiv sein – oder inklu­siv. Sie kann Spal­tung ver­tiefen – oder neue For­men von Teil­habe schaf­fen. KI ist kein Schick­sal, son­dern ein Feld von Möglichkeit­en, ein Unbes­timmtheitsspiel­raum, den wir gestal­ten.

Ob wir in den Zukun­ftss­chock stolpern oder in eine Ko-Evo­lu­tion ein­treten, hängt von ein­er Entschei­dung ab, die nicht im Code liegt, son­dern in unseren Insti­tu­tio­nen: in Bil­dung, Weit­er­bil­dung, Poli­tik, in der Bere­itschaft, Teil­habe nicht zu ver­sprechen, son­dern zu ermöglichen.

Die Frage ist nicht, ob KI uns erset­zt. Die Frage ist, ob wir die Trans­for­ma­tion so gestal­ten, dass sie mehr Men­schen befähigt als auss­chließt. Die Werkzeuge existieren. Was fehlt, ist der Wille.


Quellen:

Why The Future Of Tech­nol­o­gy Is Always More Human

„Wo gute Ideen herkom­men. Eine kurze Geschichte der Inno­va­tion“ von Steven John­son

Der Bevölkerung Ein Neues, Der Gesellschaftlichen Dimen­sion Aufgeschlossenes Zukun­fts­be­wusst­sein Ver­mit­teln (Alvin Tof­fler)

Build­ing Human Skills for the AI Econ­o­my

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