Was unterscheidet menschliches Denken von maschineller Datenverarbeitung? Diese Frage gewinnt an Brisanz, während KI-Systeme immer überzeugendere Antworten liefern und uns mit scheinbar intelligenten Reaktionen verblüffen. Charles Sanders Peirce, der vor über einem Jahrhundert die moderne Semiotik begründete, bietet eine verblüffende Antwort: Denken ist niemals ein isolierter Akt im Verborgenen unseres Geistes, sondern ein lebendiger, kontinuierlicher Prozess der Zeicheninterpretation, der sich zwischen uns und der Welt entfaltet.
Diese grundlegende Einsicht stellt nicht nur unser Verständnis von Bewusstsein auf den Kopf, sondern könnte den entscheidenden Schlüssel für eine völlig neue Generation künstlicher Intelligenz liefern. Denn während heutige KI-Systeme mit beeindruckender Präzision Symbole manipulieren und Muster erkennen, fehlt ihnen etwas Fundamentales: die Fähigkeit zur echten, kreativen Bedeutungsbildung, die aus der Begegnung mit Unbekanntem und Widersprüchlichem erwächst.
Der Geist als Zeichenprozess
Peirces pragmatistische Semiotik revolutioniert unser Verständnis dessen, was Intelligenz ausmacht. Seine zentrale Erkenntnis – dass jegliches Denken als Zeichenprozess zu verstehen ist – durchbricht radikal die traditionelle Vorstellung vom Geist als einer Art innerer Schatzkammer voller Ideen und Begriffe. Für Peirce existieren Gedanken niemals isoliert, sondern immer als „Gedankenzeichen” in einem interpretativen Prozess, der sich zwischen dem Denkenden, den Zeichen und der Welt entspinnt.
Geist erschließt sich in dieser Perspektive nicht als statische Substanz oder fester Besitz, sondern als fortlaufende Dynamik des Zeichen-Gebrauchs, Interpretierens und Kreierens. Diese Sichtweise stellt eine radikale Abkehr von atomistischen Bewusstseinstheorien dar, die Denken als Manipulation isolierter mentaler Einheiten begreifen. Stattdessen rückt der lebendige Prozess der Bedeutungsbildung ins Zentrum – ein Prozess, der sich niemals vollständig objektivieren oder …