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Ontologien und Graphdatenbanken sollen autonome Agenten zähmen. Doch die eigentliche Arbeit bleibt menschlich – und wird gern verschwiegen.
Die Diskrepanz zwischen beeindruckenden Prototypen und produktionsreifen Systemen gehört zu den unterschätzten Problemen der aktuellen KI-Welle. Bei autonomen Agenten, die Geschäftsprozesse steuern sollen, zeigt sich diese Lücke besonders deutlich. Der Grund liegt nicht in mangelnder technischer Leistungsfähigkeit der Sprachmodelle, sondern in der semantischen Unordnung der Unternehmensdaten.
Ein Begriff wie “Kunde” bezeichnet im Vertriebssystem etwas anderes als in der Buchhaltung. Das Wort “Produkt” kann eine Artikelnummer meinen, eine Produktfamilie oder ein Marketing-Bundle. Was trivial klingt, wird zum fundamentalen Hindernis, sobald ein Agent Daten aus verschiedenen Quellen kombinieren soll. Er muss verstehen, was die Daten im jeweiligen Kontext bedeuten – eine Aufgabe, die ohne explizite Definitionen zum Ratespiel verkommt. Hinzu kommen Schemaänderungen, Datenqualitätsprobleme und die Notwendigkeit, sensible Informationen korrekt zu klassifizieren.
Die vorgeschlagene Lösung klingt zunächst einleuchtend: Ontologien. Eine Ontologie definiert Geschäftsbegriffe, ihre Hierarchien und Beziehungen verbindlich. Sie schafft einheitliche Feldbezeichnungen über Systemgrenzen hinweg. Technisch lassen sich solche Strukturen in Graphdatenbanken wie Neo4j abbilden, ergänzt um spezialisierte Agenten für die Datenermittlung. Eine elegante Architektur – auf dem Whiteboard.
Doch hier beginnt die Verschleierung. Eine Ontologie entsteht nicht durch Software. Sie entsteht, wenn Menschen aus Vertrieb, Buchhaltung und IT klären, was “Kunde” eigentlich bedeuten soll – und wer nachgibt, wenn die Definitionen kollidieren. Das ist politische Arbeit, keine technische. Die Graphdatenbank speichert das Ergebnis dieser Einigung; sie produziert es nicht.
Der Aufwand für die Erstellung einer unternehmensweiten Ontologie ist beträchtlich, und er endet nie. Geschäftsmodelle ändern sich, Abteilungen werden umstrukturiert, neue Produktkategorien entstehen. Wer pflegt die Ontologie? Wer bemerkt, dass die Definition von “aktivem Kunden” seit der letzten Strategieänderung nicht mehr stimmt? Wer erkennt, dass der Begriff “Produktfamilie” im letzten Quartal stillschweigend umdefiniert wurde, weil das Marketing neue Bündel geschnürt hat?
Das erfordert Menschen mit Domänenwissen, die kontinuierlich kuratieren – klassisches Informationsmanagement, eine Disziplin, die in vielen Unternehmen chronisch unterbesetzt ist. Die Hoffnung, dieses Problem durch einen weiteren Agenten zu lösen, verschiebt es nur. Ein Data-Discovery-Agent kann nur finden, was korrekt modelliert wurde. Er kann nicht entscheiden, ob die Modellierung noch der Geschäftsrealität entspricht.
Auch die versprochene Halluzinationskontrolle hat Grenzen. Ja, ein Agent, der einen nicht existierenden Kunden erfindet, scheitert an den fehlenden Verknüpfungen im Graphen. Aber was ist mit dem Kunden, der existiert, dessen Klassifikation jedoch veraltet ist? Der Agent arbeitet dann präzise mit falschen Annahmen – ein Fehler, der schwerer zu erkennen ist als eine offensichtliche Halluzination.
Für bestimmte Branchen existieren öffentliche Ontologien: FIBO für die Finanzindustrie, UMLS für das Gesundheitswesen. Sie bieten einen Ausgangspunkt. Doch die Anpassung an unternehmensspezifische Gegebenheiten bleibt Handarbeit, geleistet von Menschen, die sowohl die Fachdomäne als auch die internen Strukturen verstehen.
Was bleibt, ist eine nüchterne Erkenntnis: Ontologien sind nützlich, aber sie automatisieren die semantische Arbeit nicht – sie machen sie explizit. Das ist ein Gewinn. Er zwingt Organisationen, ihre begrifflichen Mehrdeutigkeiten zu konfrontieren, statt sie in Datensilos zu verstecken. Doch es ist ein anderer Gewinn als versprochen. Die Architekturdiagramme mit ihren Agenten und Protokollen suggerieren eine technische Lösung für ein Problem, das im Kern organisatorisch bleibt.
Unternehmen, die auf Agentic AI setzen, sollten weniger in Graphdatenbanken investieren als in die Menschen, die sie befüllen und pflegen. Die Technologie skaliert; das semantische Verständnis nicht.
Quellen:
Management unstrukturierter Informationen von Paul Königer und Walter Reithmayer
Ontology is the real guardrail: How to stop AI agents from misunderstanding your business
