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Die Gedanken des Philosophen Ernst Cassirer in seinem Essay “Form und Technik” aus den 1930er Jahren erweisen sich als bemerkenswert prophetisch für unser Verständnis moderner KI-Systeme.
Seine philosophischen Einsichten gewinnen heute eine neue Aktualität und Tiefe.
Die Dialektik zwischen Innen- und Außenwelt
Jede neue Gestalt der Welt, die durch diese Energien (der Technik, RK) erschlossen wird, ist zugleich immer ein neuer Aufschluss über das innere Sein – sie verdunkelt dieses Sein nicht, sondern macht es von einer neuen Seite her sichtbar. Es ist stets eine vom Inneren an das Äußere, vom Äußeren an das Innere ergehende Offenbarung, die wir hier vor uns haben – und in dieser Doppelbewegung, in dieser eigentümlichen Oszillation, wird erst der Umriss der Innen- wie der Außenwelt und ihre beiderseitige Grenze festgestellt. In diesem Sinne gilt es auch vom technischen Wirken, dass es keineswegs auf die Gewinnung eines bloßen Draußen gerichtet ist, sondern dass es eine eigentümliche Innenwendung und Rückwendung in sich schließt. Die Grenze, die das rein organische Wirken von diesem technischen Tun trennt, ist zugleich eine scharfe und klare Demarkationslinie innerhalb der Entwicklung des Ich-Bewusstseins und der eigentlichen Selbsterkenntnis.
Cassirers zentrale These, dass jede neue technische Gestalt “zugleich immer ein neuer Aufschluss über das innere Sein” ist, trifft auf KI-Systeme in besonderem Maße zu. KI-Technologien wie maschinelles Lernen oder neuronale Netze zwingen uns zur Reflexion über fundamentale Fragen: Was ist Intelligenz? Wie funktioniert menschliches Denken? Können Maschinen verstehen oder nur simulieren?
Die von Cassirer beschriebene “Oszillation” zwischen Innen- und Außenwelt manifestiert sich heute in der Art, wie KI-Systeme unsere Selbstwahrnehmung herausfordern. Während wir Algorithmen entwickeln, die scheinbar kreativ sind, rational entscheiden oder sogar menschliche Gespräche führen, werden wir gleichzeitig zu einer tieferen Selbsterforschung gedrängt: Was macht unser Bewusstsein einzigartig? Diese technische Entwicklung nach außen wird zu einem Spiegel unseres inneren Wesens.
Emanzipation von organischen Vorbildern
Als das Grundprinzip, das die gesamte Entwicklung des modernen Maschinenbaus beherrscht, hat man den Umstand bezeichnet, dass die Maschine nicht mehr die Handarbeit oder gar die Natur nachzuahmen versucht, sondern dass sie bestrebt ist, die Aufgabe mit ihren eigenen, von den natürlichen oft völlig verschiedenen Mitteln zu lösen. Mit diesem Prinzip und seiner immer schärferen Durchführung hat die Technik erst ihre eigentliche Mündigkeit erlangt. Jetzt richtet sie eine neue Ordnung auf, die nicht in Anlehnung an die Natur, sondern nicht selten in bewusstem Gegensatz zu ihr gefunden wird. Die Entdeckung des neuen Werkzeugs stellt eine Umbildung, eine Revolution der bisherigen Wirkungsart, des Modus der Arbeit selbst dar. So wurde, wie man betont, mit dem Walzwerk eine neue Schmiedeweise erfunden – und auch das Flugprinzip konnte erst endgültig gelöst werden, als das technische Denken sich von dem Vorbild des Vogelflugs freimachte und das Prinzip des…