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Von Ralf Keuper
Wenn Deutschland im Geschäft mit den Endkunden (B2C) den Anschluss verloren hat, dann sollen es jetzt die Unternehmenskunden (B2B) retten. Denn, so die dahinterstehende Logik, die deutschen Fabriken verfügen über einen Bestand an Industriedaten, der mittels gezielter, KI-gestützter Auswertungen für neue Services und Produkte genutzt werden kann. Auf diesem Gebiet sei das Rennen noch lange nicht entschieden, Deutschland also noch im Spiel mit guten Aussichten für die letzte Runde.
Zuletzt brachte dieses Argument ein Siemens-Manager vor1„Unser größtes Potential ist die riesige Menge an Industriedaten“. Ein weiterer Protagonist die der ehemalige Chef des DFKI, Wolfgang Wahlster, der nicht müde wird zu betonen, dass die Zukunft der industriellen KI gehört.
KI ist die Speerspitze der zweiten Digitalisierungswelle in der Industrie, denn nur mit KI können die Massendaten aus der Industrie in neuen Wertschöpfungsprozessen ver- wertet und monetarisiert werden. Im B2C-Bereich sind die amerikanischen und chinesischen Internet-Konzer- ne als Hyperscaler führend bei der Anwendung von KI. Aber Deutschland hat eine herausragende Position bei der F&E in industrieller KI, aber auch beim praktischen Einsatz. Dabei geht es um Produktions‑, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen und nicht um Werbeplatzierungen oder Produktempfehlungen. Denken Sie an globale Zulieferer wie Bosch, ZF, Continental oder Mittelständler wie Harting, Claas und Sartorius, aber beachten Sie auch SAP und Software AG, deren Systeme in erster Linie die Nervenbahnen der Unternehmen sind, die aber auch das Unternehmenswissen digital bereitstellen und für die Unternehmens- entwicklung zugänglich machen. Nicht zuletzt sind deutsche OEMs wie VW, BMW und Daimler Treiber der industriellen KI, weil sie ihre Fabriken weltweit schrittweise auf Industrie 4.0 umstellen und dabei KI-Technologien verstärkt einsetzen2ZEHN JAHRE INDUSTRIE 4.0 DEUTSCHLAND ALS TREIBER DFKI News 1/2021 DFKI VON INDUSTRIELLER KI FÜR DIE ZUKUNFT DER WERTSCHÖPFUNG.
Da könnten er und die anderen Protagonisten daneben legen. Denn: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Phase der De-Industrialisierung. Viele der von Wahlster genannten Unternehmen haben mit z.T. existenziellen Problemen zu kämpfen. Das Geschäftsmodell der deutschen Industrie, das im Wesentlichen auf Premium-Produkten und Veredelung basiert, ist durch das Auftauchen neuer Mitbewerber, vor allem aus China, ins Wanken geraten — es ist eigentlich schon hinüber. Wenn die Produkte am Weltmarkt nicht mehr gefragt sind, dann nützt auch ein noch so großer Pool an Industriedaten nicht mehr viel — im Gegenteil — er verfestigt den Status Quo. Die Datenmenge und ‑qualität passen nicht mehr zu den Anforderungen des Weltmarktes — ob man das nun Industrie 4.0 oder sonst wie nennt. Die zunehmende Verbreitung der Elektromobilität macht ZF und anderen sehr zu schaffen, die Landmaschinenindustrie kommt als eine der nächsten Branchen dran, die Automatisierungsbranche schwächelt bedenklich, SAP will jedes Jahr 2 % der Belegschaft einsparen, und weshalb die Software AG in der Aufzählung vorkommt, erschließt sich wohl nur Eingeweihten. Von der Automobilindustrie wollen wir erst gar nicht mehr reden.
Die Beherrschung der Software und der Batterietechnologien sind auch im B2B-Geschäft die entscheidenden Faktoren — da ist Deutschland weitgehend blank; die Geschäftsmodelle skalieren nicht.
Wenn man sich anschaut, dass Xiaomi die Karossie des SUV 7 mit 1.000 Robotern fast vollständig automatisch herstellt und nur noch 20 Mitarbeiter für die Betreuung nötig sind3https://x.com/1234Fit/status/1952625871983878424, dann ist die Frage schon erlaubt, wie die deutsche Industrie auf diesem Gebiet mithalten will. Da helfen die schönsten Industriedatenauswertungen nichts mehr. Das gilt es erst einmal zu akzeptieren, bevor man sich die Lage schön redet und glaubt, im B2B-Geschäft genau das zu vollbringen, was im B2C-Geschäft nicht gelungen ist. So viel anders ist das B2B — Geschäft- gerade im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung — dann doch nicht.