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Der Heil­bron­ner „Mega-Park Men­sch und KI“, offiziell bekan­nt als Inno­va­tion Park Arti­fi­cial Intel­li­gence (IPAI), wird in Poli­tik und Medi­en gerne als europäis­che Antwort auf das Sil­i­con Val­ley präsen­tiert. Doch bei genauerem Hin­se­hen zeigt sich ein Pro­jekt, das weniger auf gewach­sene Forschung, tech­nol­o­gis­che Sub­stanz oder offene Diskurse set­zt – son­dern auf Kap­i­tal, Kon­trolle und Insze­nierung. Zwis­chen echt­en Ambi­tio­nen und strate­gis­chem Imageauf­bau ver­läuft eine schmale Lin­ie, die in Heil­bronn zunehmend ver­schwimmt.


Machtkonzen­tra­tion und PR-Strate­gie

Der sicht­barste Akteur hin­ter IPAI ist die Dieter-Schwarz-Stiftung, finanziert aus dem Ver­mö­gen des Lidl- und Kau­fland-Grün­ders. Sie kon­trol­liert Finanzierung, Flächen und Pro­gram­matik des Pro­jek­ts nahezu voll­ständig. Kri­tik­er aus Wis­senschaft und Poli­tik sprechen in diesem Zusam­men­hang von ein­er Pri­vatisierung tech­nol­o­gis­ch­er Leit­poli­tik: Was als öffentlich­es Zukun­ft­spro­jekt verkauft wird, fol­gt in Wahrheit ein­er pri­vatwirtschaftlichen Logik.

Das Han­dels­blatt beze­ich­nete IPAI tre­f­fend als Beispiel für die „wach­sende Macht Einzel­ner“ – ein Ort, an dem Stad­ten­twick­lung, Bil­dungspoli­tik und Tech­nolo­gieförderung in ein­er Hand zusam­men­laufen. Die Stiftung wird so zur neuen Instanz deutsch­er Zukun­ft­spoli­tik, ohne demokratis­che Kon­trolle oder plu­ral­is­tis­che Entschei­dungsstruk­turen.

Wirtschaftlich­er Real­is­mus statt Inno­va­tion­ss­chub

Die Liste der beteiligten Unternehmen liest sich beein­druck­end: Porsche, Claas, Würth, Stihl, Telekom. Doch hin­ter den Logos steckt wenig oper­a­tive Sub­stanz. Viele dieser Fir­men kämpfen selb­st mit grundle­gen­den Trans­for­ma­tion­sprob­le­men – von Elek­tro­mo­bil­ität über Fachkräfte­man­gel bis hin zu sink­enden Mar­gen. Entsprechend sind ihre Beiträge zu IPAI meist sym­bol­is­ch­er Natur, sel­ten strate­gisch tief ver­ankert.

Heil­bronn ist damit weniger ein Pro­duk­tions- oder Entwick­lungszen­trum als ein Net­zw­er­kraum für Rep­u­ta­tion und Stan­dort­mar­ket­ing. Das Pro­jekt lebt von Kom­mu­nika­tion und Koop­er­a­tion, nicht von Forschungs­durch­brüchen.

Regionale Schiefla­gen

In Baden-Würt­tem­berg selb­st sorgt das Heil­bron­ner Großpro­jekt für Span­nun­gen. Während etablierte Wis­senschaft­sre­gio­nen wie Karl­sruhe oder Stuttgart auf jahrzehn­te­lange Forschungstra­di­tio­nen zurück­blick­en, konzen­tri­ert sich ein Großteil der öffentlichen Förderung – rund 50 Mil­lio­nen Euro – auss­chließlich auf Heil­bronn.

Fach­leute war­nen vor ein­er Kan­ni­bal­isierungsef­fek­te inner­halb des Lan­des: Aufmerk­samkeit, För­der­mit­tel und poli­tis­che Unter­stützung wer­den zugun­sten eines medi­al wirk­samen Vorzeige­pro­jek­ts gebün­delt. Ob dadurch tat­säch­lich zusät­zliche Inno­va­tion­skraft entste­ht, bleibt zweifel­haft.

Sym­bo­l­ik statt Sub­stanz

Medi­en wie ZDF und Tagess­chau weisen regelmäßig darauf hin, dass Heil­bronn trotz der enor­men PR-Wirkung bis­lang kaum Unternehmen beherbergt, die über echte KI-Kernkom­pe­ten­zen ver­fü­gen. Das Pro­jekt scheint stärk­er darauf aus­gerichtet, ein europäis­ches Leucht­turm-Nar­ra­tiv zu bedi­enen, als eine eigen­ständi­ge tech­nol­o­gis­che Dynamik zu erzeu­gen.

Die architek­tonis­che Per­fek­tion des Cam­pus ste­ht dabei in auf­fäl­ligem Kon­trast zur tech­nol­o­gis­chen Real­ität: Heil­bronn wirkt wie ein sicht­bar gemachter Wille zur Moder­nität, nicht wie ein Ort tat­säch­lich­er Durch­brüche.

Die Verbindung Schwarz–IPAI–Aleph Alpha

Ein zen­trales Beispiel für diese Diskrepanz ist die Koop­er­a­tion mit dem Hei­del­berg­er KI-Unternehmen Aleph Alpha. Ende 2023 wurde öffentlich verkün­det, man habe 500 Mil­lio­nen US-Dol­lar an Investi­tio­nen einge­sam­melt – ange­führt von der Schwarz-Gruppe, Bosch und SAP. Diese Zahl wurde rasch zum Sym­bol ein­er ver­meintlichen europäis­chen Aufhol­jagd im KI-Bere­ich.

Doch Recherchen von Cap­i­tal und Indiskre­tion Ehren­sache zeich­nen ein anderes Bild: Nur ein Bruchteil der Summe floss tat­säch­lich als Eigenkap­i­tal. Der Rest bestand aus Pro­jek­tzusagen, Zuschüssen oder soge­nan­nten nicht ver­wässern­den Beteili­gun­gen – also buch­hal­ter­ischen Kon­struk­tio­nen ohne reale Mit­telzu­flüsse. In Wahrheit, so die Recherchen, suchte Aleph Alpha ursprünglich nur etwa 100 Mil­lio­nen Dol­lar an frischem Kap­i­tal.

Das medi­en­wirk­same „500-Mil­lio­nen-Nar­ra­tiv“ diente vor allem der Imagepflege: Heil­bronn und die Schwarz-Stiftung kon­nten sich als europäis­che KI-Ret­ter insze­nieren, ohne dass die tech­nol­o­gis­che Basis diesen Anspruch trägt.

Gren­zen tech­nol­o­gis­ch­er Leis­tungs­fähigkeit

Auch inhaltlich fällt die Bilanz ernüchternd aus. Aleph Alphas Sprach­mod­ell Lumi­nous wurde als sou­veräne europäis­che Alter­na­tive zu GPT präsen­tiert, schnei­det in unab­hängi­gen Tests aber deut­lich schlechter ab. Fach­leute bemän­geln man­gel­nde Skalier­barkeit, inkon­sis­tente Ergeb­nisse und fehlende Rechenka­paz­itäten.

Ohne eigene Hochleis­tungsin­fra­struk­tur und aus­re­ichende Train­ings­dat­en bleibt Aleph Alpha tech­nol­o­gisch isoliert. Das Unternehmen sym­bol­isiert damit ein bre­it­eres europäis­ches Dilem­ma: die Ambi­tion, Sou­veränität zu behaupten, ohne die materiellen Voraus­set­zun­gen dafür zu besitzen.

Wis­senschaft zwis­chen Kon­trolle und Abhängigkeit

Auch die wis­senschaftliche Struk­tur in Heil­bronn wirft Fra­gen auf. Der Bil­dungscam­pus, auf dem das IPAI basiert, ist voll­ständig von der Dieter-Schwarz-Stiftung finanziert und kon­trol­liert. Sie unter­stützt Dutzende Pro­fes­suren – unter anderem in Koop­er­a­tion mit der TU München und der ETH Zürich –, doch fak­tisch entste­hen so abhängige Außen­stellen statt eigen­ständi­ger Forschung­sein­rich­tun­gen.

Hochschul­vertreter sprechen von einem „Damm­bruch“: Wenn ein einzel­ner Akteur einen erhe­blichen Teil der akademis­chen Infra­struk­tur finanziert, ver­lagert sich die Unab­hängigkeit von der Uni­ver­sität zur Stiftung.

Hinzu kommt, dass Heil­bronn keine gewach­sene uni­ver­sitäre Kul­tur besitzt. Der Ver­such, Forschung „am Reißbrett“ zu etablieren, erzeugt zwar neue Gebäude und Pro­gramme, aber keine gewach­sene Diskurs­ge­mein­schaft. Kreativ­ität, Kri­tik und method­is­che Vielfalt lassen sich nicht admin­is­tra­tiv verord­nen.

Eine Atmo­sphäre der Kon­trolle

Die Unternehmens­men­tal­ität der Schwarz-Gruppe – geprägt von Diskre­tion, Hier­ar­chie und zen­traler Steuerung – prägt auch den Forschungsansatz in Heil­bronn. Diese Kul­tur ste­ht im Wider­spruch zu dem, was offene Wis­senschaft und KI-Forschung benöti­gen: Fehlerkul­tur, Trans­parenz und intellek­tuelle Autonomie.

Nicht zufäl­lig ent­standen in den ver­gan­genen Jahren Proteste gegen den „Mil­liardärscam­pus“. Die Stiftung wirbt mit Gemein­wohlo­ri­en­tierung, während in der Prax­is Mitbes­tim­mung, Trans­parenz und wis­senschaftliche Selb­stver­wal­tung nur eingeschränkt sicht­bar sind.

In der Ter­mi­nolo­gie von Her­mann Schmitz’ Philoso­phie der Atmo­sphären lässt sich Heil­bronn als ein Ort begreifen, dessen gestal­ter­ische, soziale und ökonomis­che Ord­nung eine bes­timmte Stim­mung her­vor­ruft – eine Atmo­sphäre der Kon­trolle, der Effizienz, der makel­losen Fas­sade.

Diese Atmo­sphäre ist spür­bar, bevor sie begrif­f­en wird: Sie wirkt sach­lich, glatt, lär­mgedämpft – aber ohne Res­o­nanz. Schmitz würde sagen: Es ist eine „enge“, keine „weite“ Atmo­sphäre. Sie lässt wenig Spiel­raum für Über­raschung, Irri­ta­tion, Lei­den­schaft – und damit auch wenig Raum für das, was Inno­va­tion eigentlich antreibt: das Unvorherse­hbare.

In Heil­bronn ist alles geplant, aber nichts lebendig. Die Stadt, die Stiftung, das Pro­jekt – sie erzeu­gen ein Kli­ma der Ver­lässlichkeit ohne Inspi­ra­tion.

Das mag sta­bil­isieren, aber nicht beflügeln. Wer Inno­va­tion insti­tu­tionell plant, erzeugt besten­falls Rou­tine; wer sie atmo­sphärisch ein­hegt, ver­hin­dert sie. Dass hier ein­mal echte Durch­brüche entste­hen, wäre – in Schmitz’ Sinn – kein Erfolg der Struk­tur, son­dern ein Unfall der Lebendigkeit, der sich gegen die Atmo­sphäre richtet, in der er zufäl­lig geschieht.

Regionale Dynamik: Lek­tio­nen aus der Inno­va­tions­forschung

Ein auf­schlussre­ich­er Ver­gle­ich find­et sich in dem Buch „Region­al Advan­tage“ von Annalee Sax­en­ian. Erfol­gre­iche Inno­va­tion­sre­gio­nen – ob Sil­i­con Val­ley, Boston oder Eind­hoven – entste­hen nicht durch Großin­ve­storen, son­dern durch soziale Dichte, spon­tane Net­zw­erke und offene Wis­sens­flüsse. Insti­tu­tio­nen sind nur so stark wie ihr Ein­bet­tungs­grad in eine lebendi­ge lokale Ökonomie.

Über­tra­gen auf Heil­bronn heißt das:

  • Der IPAI schafft Infra­struk­tur, aber kein organ­is­ches Net­zw­erk.
  • Hochschulen und Unternehmen agieren nebeneinan­der, nicht miteinan­der.
  • Kleine Fir­men, Start-ups und Forschungs­grup­pen fehlen weit­ge­hend – jene Akteure also, die Inno­va­tion tat­säch­lich vorantreiben.

Sax­en­ian betont, dass gle­iche Insti­tu­tio­nen in unter­schiedlichen Regio­nen sehr unter­schiedliche Effek­te haben kön­nen. Ohne gewach­sene soziale und wirtschaftliche Ver­flech­tun­gen bleiben sie Hüllen – ein­drucksvoll, aber leer. Genau diese Gefahr dro­ht Heil­bronn: eine urbane Kulisse ohne funk­tion­ieren­des regionales Ökosys­tem.

Was Heil­bronn ler­nen müsste

Wenn das Pro­jekt mehr sein soll als ein Sym­bol, müsste es sich von der Logik zen­traler Kon­trolle lösen. Entschei­dend wären:

  • Offene Net­zw­erke statt insti­tu­tioneller Hier­ar­chie – Auf­bau echter Schnittstellen zwis­chen Wis­senschaft, Mit­tel­stand und Grün­der­szene.
  • Förderung lokaler Start-ups – nicht nur durch Kap­i­tal, son­dern durch Räume für Exper­i­mente, Fehler und Aus­tausch.
  • Wis­senschaftliche Unab­hängigkeit – weniger Stiftungss­teuerung, mehr öffentliche Forschungskul­tur.
  • Regionale Inte­gra­tion – Heil­bronn darf nicht gegen, son­dern mit beste­hen­den Inno­va­tion­szen­tren arbeit­en.

Nur wenn diese Voraus­set­zun­gen erfüllt wer­den, kann IPAI zu einem eigen­ständi­gen Inno­va­tion­sraum reifen – und den Anspruch eines „Mensch-und-KI“-Parks tat­säch­lich ein­lösen.

Faz­it: Glanz ohne Grav­i­ta­tion

Der Heil­bron­ner „Mensch-und-KI“-Park ist derzeit vor allem ein architek­tonisch per­fek­tes Sym­bol tech­nol­o­gis­ch­er Ambi­tion. Er zeigt, wie stark Deutsch­land auf sicht­bare Zeichen sein­er Inno­va­tions­fähigkeit set­zt – und wie wenig dies über tat­säch­liche Dynamik aus­sagt.

Solange Machtkonzen­tra­tion, Abhängigkeit und Sym­bol­poli­tik den Ton bes­tim­men, bleibt IPAI eine Bühne, kein Labor. Die Fas­sade glänzt – doch die Grav­i­ta­tion, die Wis­sen, Men­schen und Ideen anzieht, ist noch nicht ent­standen.

Was Heil­bronn fehlt, ist nicht Kap­i­tal, son­dern kul­turelle und wis­senschaftliche Durch­läs­sigkeit.

Ob Heil­bronn zu einem lebendi­gen Inno­va­tion­sökosys­tem her­an­wächst oder ein „Sil­i­con Val­ley auf Papi­er“ bleibt, wird sich erst zeigen, wenn die Stiftung die Kon­trolle teilt, echte wis­senschaftliche Frei­heit zulässt und tech­nol­o­gis­che Sub­stanz den Platz der Sym­bo­l­ik ein­nimmt.

Bis dahin bleibt IPAI ein ambi­tion­iertes, aber frag­iles Pro­jekt: ein Spiegel deutsch­er Tech­nolo­gier­hetorik – glänzend in der Form, ungewiss im Gehalt.

Oder, um es mit Friedrich August von Hayek zu sagen:

Aus einem gelenk­ten Prozess kann nichts Größeres entste­hen, als der lenk­ende Geist vorausse­hen kann.

Das kann und wird so nichts wer­den,

Quellen:

In Heil­bronn entste­ht eines der bedeu­tend­sten KI-Ökosys­teme Europas

Inno­va­tion­spark Kün­stliche Intel­li­genz kommt nach Heil­bronn

Willkom­men im deutschen KI-Kraftzen­trum

Kün­stliche Intel­li­genz — bald aus dem Län­dle?

Das Ende ein­er Vision: Aleph Alpha und das Scheit­ern europäis­ch­er KI-Sou­veränität

Region­al Advan­tage

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