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Von Ralf Keuper
Die Nutzung von KI-Werkzeugen wie ChatGPT oder Perplexity ist ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ermöglicht uns ihr Einsatz die Analyse großer Textmengen und die Erstellung ausführlicher Reports in wenigen Minuten; auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr, dass wir die Ergebnisse unkritisch übernehmen und so in die passive Rolle der Konsumenten wechseln. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auf diese Weise unsere kognitiven Fähigkeiten verkümmern können, wie das generell der Fall ist, wenn man in eine passive Zuschauerrolle schlüpft. Statt selbst etwas herzustellen oder zu kreieren, überlässt man das lieber anderen oder eben KI-Werkzeugen.
In einem Editorial „Writing is thinking“, das am 16. Juni 2025 in der Fachzeitschrift Nature Reviews Bioengineering veröffentlicht wurde, weist der Verfasser darauf hin, dass das Schreiben wissenschaftlicher Texte nicht nur der Berichterstattung diene, sondern es auch dazu beitrage, neue Gedanken und Ideen zu entwickeln. “Schreiben zwingt uns zum Denken – nicht in der chaotischen, nicht-linearen Weise, in der unser Geist normalerweise wandert, sondern in strukturierter, zielgerichteter Form. Indem wir schreiben, sortieren wir Jahre der Forschung, Daten und Analysen zu einer Geschichte, identifizieren unsere Hauptbotschaft und den Einfluss unserer Arbeit. Das ist keine bloße philosophische Beobachtung; es ist durch wissenschaftliche Belege gestützt. Zum Beispiel kann Handschrift zu weitreichender Konnektivität im Gehirn führen¹ und hat nachweislich positive Auswirkungen auf Lernen und Gedächtnis”.
Forscher aus verschiedenen Fachrichtungen werden nicht müde zu betonen, wie wichtig die Rolle der Hand als Werkzeug des Geistes ist. Schreiben und zeichnen sind Prozesse, die bestimmte Hirnregionen anregen und so erst echte Kreativität ermöglicht. Unterbleibt diese Form der Stimulierung, droht eine Verkümmerung der entsprechenden Hirnareale und damit ein Verlust an Gestaltungskraft und an der Fähigkeit zu kritischem Denken1Wie das Schreiben das Denken verändert2Die Handschrift hat nicht ausgedient.
Für den Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger ist das Schreiben gar ein Experimentalsystem:
Das Schreiben, so behaupte ich, ist selbst ein Experimentalsystem. Es ist eine Versuchsanordnung. Es ist nicht nur ein Aufzeichnen von Daten, Tatbeständen oder Ideen. Es ist auch nicht einfach der billige Ersatz für die lebendige Rede. Es ist nicht einfach das transparente Medium der Gedanken. Es gibt ihnen eine materielle Verfassung und zwar eine, die das Entstehen von Neuem ermöglicht. Auch die Schrift begründet Bahnen, auf denen Spuren hinterlassen werden, auf die man zurückkommen und über die man, indem man das tut, hinausgehen kann. Es vollzieht sich also durch das Niederschreiben, wie man mit Edmund Husserl sagen kann, nicht nur eine Verwandlung der Existenzweise von Sinngebilden, sondern es entstehen auch neue, die sich, wie alle neuen Erwerbe, „wieder sedimentieren und wieder zu Arbeitsmaterialien werden“. Schreiben ist mithin in einem elementaren Sinne auch die Voraussetzung für alle Wissenschaft. Quelle: Über die Kunst, das Unbekannte zu erforschen, in: Say it isn’t so
Der Medienwissenschaftler Vilem Flusser hebt einen weiteren Aspekt des klassischen Schreibens auf Papier mit der Hand hervor:
Schreibt man auf Papier, dann ist man gezwungen, seiner Kreativität Grenzen zu setzen. Und zwar nicht nur, weil die Zeilen ihrer Struktur nach einem Schlusspunkt entgegenlaufen, sondern auch, weil die materielle Unterlage (das Papier) Grenzen auflegt. Selbst die sogenannten „livres-fleuve“ müssen irgendwann irgendwo, irgendwie enden. Man kann sich diese Grenzen allerdings sehr weit setzen. Dann aber läuft man zweierlei Gefahr: Einerseits, dass die Kreativität in Leerlauf verfällt, dass einem beim Schreiben die schöpferische Puste ausgeht, und andererseits, dass man bei immer längeren Diskursen immer weniger Empfänger anspricht. Daher die oft mit Erfolg angewandte Strategie der bewussten Selbstbeschränkung: Man ballt seine Kreativität, um sie auf ein Minimum von Papier mit einem Minimum an Schriftzeichen aufzutragen. Die Strategie mag gut sein, Kreativität jedoch wird dabei beschnitten. Quelle: Hinweg vom Papier, in: Medienkultur .
Jedoch hat auch das Schreiben mittels Tastatur am Computer seine Vorzüge:
Zweifellos hingegen ist, dass das Schreiben durch Computer die Einstellung des Schreibenden und des Empfängers zum Text radikal verändert. Das schöpferische Engagement wird anders erlebt als vorher. Es ist eine neue Art von Selbstkritik und von Verantwortlichkeit dem anderen gegenüber hinzugekommen, und der Text hat eine neu Form von Eigenleben gewonnen. Kurz, man beginnt, wenn man auf diese Art schreibt, beim Schreiben dialogisch zu denken, zu schaffen, zu leben. Auch und vor allem in jenem Sinn, den Martin Buber gemeint hat.
Womöglich kommt unser Verhalten an der Tastatur und am Bildschirm dem klassischen mittels handschriftlicher Korrekturen erstaunlich nahe. Der Text, dieses störrische Wesen, will auch weiterhin bearbeitet werden. Ob mit Griffel oder Touchscreen ist dabei gar nicht so entscheidend3Die Feder setzt sich zur Wehr4… das Ende der Handschrift?.
Wichtig ist, dass man selbst noch aktiv in den Prozess eingreift und das Ergebnis und die Art und Weise, wie es zustande gekommen ist, kritisch reflektiert.