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Von Ralf Keu­per

In „Dig­i­taler Kolo­nial­is­mus. Wie Tech-Konz­erne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“ beleucht­en Ingo Dachwitz und Sven Hilbig die kom­plex­en und oft unsicht­baren Struk­turen, die die dig­i­tale Welt prä­gen. Die Dig­i­tal­isierung mag als imma­terieller Prozess erscheinen, doch Dachwitz und Hilbig argu­men­tieren ein­dringlich, dass sie auf tief ver­wurzel­ten materiellen Abhängigkeit­en und Aus­beu­tungsver­hält­nis­sen beruht. Anstelle physis­ch­er Eroberun­gen im klas­sis­chen Sinne erobern die neuen Akteure den dig­i­tal­en Raum und nutzen dabei Ressourcen, die unter men­sche­nun­würdi­gen Bedin­gun­gen abge­baut wer­den.

Beson­ders ein­drucksvoll wird die Rolle der Con­tent Mod­er­a­tion her­vorge­hoben, die in Entwick­lungslän­dern von oft unsicht­baren Arbeit­ern durchge­führt wird. Diese arbeit­en unter prekären Bedin­gun­gen, wobei sie ver­botene Inhalte, wie Hin­rich­tun­gen und Verge­wal­ti­gun­gen, für soziale Net­zw­erke und KI-Pro­gramme her­aus­fil­tern, während sie gle­ichzeit­ig psy­chis­chen Belas­tun­gen aus­ge­set­zt sind. Die Autoren kri­tisieren, dass Unternehmen wie Accen­ture zwar die psy­chis­chen Risiken dieser Arbeit anerken­nen, jedoch nur begren­zte bis gar keine Unter­stützung bieten. Dieses Aus­beu­tungsmod­ell ist kein Neben­pro­dukt, son­dern eine grundle­gende Voraus­set­zung für die enor­men Prof­ite der Branche.

Ein zen­traler Punkt der Analyse ist die Diskus­sion um Wis­sen und Dat­en. Die Autoren stellen fest, dass die Annahme, den Klein­bauern des glob­alen Südens fehle es an Wis­sen, eine kolo­niale Denkweise wider­spiegelt. Tat­säch­lich ver­fü­gen diese Men­schen seit Jahrhun­derten über das notwendi­ge Wis­sen zur nach­halti­gen Bewirtschaf­tung ihres Lan­des, doch es fehlt ihnen an Recht­en und Macht, um über ihre eige­nen Dat­en zu entschei­den.

Die Rolle europäis­ch­er Unternehmen und der Europäis­chen Union wird eben­falls kri­tisch betra­chtet. Während europäis­che Fir­men seit langem das Out­sourc­ing schw­er­er Com­put­er­ar­beit in den glob­alen Süden ermöglichen, wie Accen­ture und Telekom­mu­nika­tion­sun­ternehmen, prof­i­tieren sie von den niedri­gen Löh­nen und den prekären Arbeits­be­din­gun­gen in diesen Län­dern. Die EU selb­st wird als Akteur beleuchtet, der oft mehr an wirtschaftlichen Inter­essen als an der Unter­stützung von Entwick­lungsini­tia­tiv­en inter­essiert ist. Diese Dynamik per­pe­tu­iert beste­hende Ungle­ich­heit­en und hin­dert die Län­der des glob­alen Südens daran, sich unab­hängig zu entwick­eln.

Ein Aspekt, der starke Ähn­lichkeit mit der “klas­sis­chen” Kolo­nial­isierung hat, ist der Abbau wertvoller Rohstoffe in Län­dern des Glob­alen Südens, die im Glob­alen Nor­den für die Pro­duk­tion von Bat­te­rien, Smart­phones und ander­er tech­nis­ch­er Geräte und App­lika­tio­nen benötigt wer­den. Kinder­ar­beit ist hier eben­so weit ver­bre­it­et, wie die Arbeitsver­hält­nisse ins­ge­samt als men­sche­nun­würdig beze­ich­net wer­den müssen. Prof­i­teure sind die großen Unternehmen aus den USA, Europa und Chi­na.

Zudem wer­den die Infra­struk­tur­pro­jek­te großer Tech-Konz­erne als ambiva­lent dargestellt. Während solche Pro­jek­te Ver­sprechun­gen von wirtschaftlichem Auf­schwung und schnelleren Inter­netverbindun­gen bein­hal­ten, führen sie oft zu ein­er Abhängigkeit, da Dat­en ins Aus­land abfließen. Die Autoren kri­tisieren auch die Rolle Chi­nas in dieser Dynamik, wo die dig­i­tale Sei­den­straße zunächst wie ein Mod­ernisierung­spro­gramm wirkt, aber eben­falls neue Abhängigkeit­en schafft.

Abschließend fordern Dachwitz und Hilbig, dass die Län­der des glob­alen Südens ihre dig­i­tale Wirtschaft stärken müssen, um sich von den Tech-Konz­er­nen zu befreien. Dafür sind weltweit gel­tende Stan­dards, offene Pro­tokolle und öffentliche dig­i­tale Infra­struk­turen erforder­lich.

„Dig­i­taler Kolo­nial­is­mus“ ist eine aufrüt­tel­nde und wichtige Lek­türe, die den Leser dazu anregt, über die tief­greifend­en Imp­lika­tio­nen der dig­i­tal­en Rev­o­lu­tion nachzu­denken und ein Bewusst­sein für die beste­hen­den Ungle­ich­heit­en zu entwick­eln.

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