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Meta-Kog­ni­tion, Sym­bol­sou­veränität, ethis­che Urteil­skraft – das sind die Schlüs­selkom­pe­ten­zen der KI-Ära, heißt es. Doch seien wir ehrlich: Die meis­ten Men­schen wer­den diese Fähigkeit­en nie entwick­eln kön­nen. Die Super­sym­bol­ökonomie schafft eine neue Klas­sen­ge­sellschaft mit ontol­o­gis­ch­er Trennlin­ie. Ein Essay über die unbe­queme Wahrheit hin­ter den opti­mistis­chen KI-Nar­ra­tiv­en – und die zivil­isatorische Her­aus­forderung, vor der wir ste­hen.


Philosophen lieben ele­gante Lösun­gen. Der Men­sch als Brück­en­bauer zwis­chen den Wel­ten, als Meta-Koor­di­na­tor von KI-Agen­ten­sys­te­men, als sou­verän­er Bedeu­tungsar­beit­er in der Super­sym­bol­ökonomie – das klingt nach ein­er würdi­gen Rolle im Zeital­ter der kün­stlichen Intel­li­genz. Doch hier trifft philosophis­che Analyse auf soziale Real­ität. Und diese Real­ität ist bru­tal.

Die unbe­queme Wahrheit

Die beschriebe­nen Kom­pe­ten­zen – Meta-Kog­ni­tion, Sym­bol­sou­veränität, ethis­che Urteil­skraft, Trans­for­ma­tions­fähigkeit zwis­chen drei Wel­ten – sind kog­ni­tiv, emo­tion­al und kul­turell hochanspruchsvoll. Nicht jed­er Men­sch wird in der Lage sein, als Meta-Koor­di­na­tor von KI-Agen­ten­sys­te­men zu fungieren, kom­plexe Mul­ti­a­gen­ten-Ökosys­teme ver­ant­wortlich zu dirigieren oder sou­verän zwis­chen wis­senschaftlichen Mod­ellen, ethis­chen Prinzip­i­en und prak­tis­ch­er Umset­zung zu navigieren.

Diese Erken­nt­nis ist unan­genehm, aber unver­mei­dlich. Die Super­sym­bol­ökonomie tendiert struk­turell zur Eliten­bil­dung – nicht aus bös­er Absicht, son­dern aus der Natur der geforderten Fähigkeit­en. Die kog­ni­tive Band­bre­ite, die emo­tionale Reife, die kul­turelle Bil­dung, die für diese Kom­pe­ten­zen erforder­lich sind, fol­gen sta­tis­tisch ein­er Nor­malverteilung. Auch das beste Bil­dungssys­tem der Welt kann aus dieser Verteilung keine Gle­ichverteilung machen. Begabung, Inter­esse, biografis­che Prä­gung, neu­rokog­ni­tive Ausstat­tung – all dies vari­iert fun­da­men­tal zwis­chen Indi­viduen.

Ganz bru­tal for­muliert: Für die Mehrheit der Men­schen bleibt — im Sinne der 3‑Wel­ten-Lehre von Karl Pop­per — als rel­e­vantes Tätigkeits­feld primär Welt 1, die physis­che Welt der materiellen Prozesse und Objek­te. Teile von Welt 2 – emo­tionale Intel­li­genz, zwis­chen­men­schliche Beziehun­gen, sub­jek­tives Erleben – bleiben zugänglich. Aber Welt 3, die Sphäre der objek­tivierten Sym­bol­sys­teme, wird für die meis­ten fak­tisch unzugänglich – nicht im Sinne pas­siv­en Kon­sums (jed­er kann Texte lesen, Musik hören), son­dern als pro­duk­tives, wertschöpfend­es Hand­lungs­feld.

Diese Schließung ist radikal: Welt 3 war his­torisch das Ter­rain demokratis­ch­er Teil­habe. Wer lesen und schreiben kon­nte, hat­te Zugang zum öffentlichen Diskurs. Wer argu­men­tieren kon­nte, kon­nte poli­tisch par­tizip­ieren. Wer einen Beruf erlernt hat­te, kon­nte durch Sym­bo­l­ar­beit (Buch­hal­tung, Kon­struk­tion, Ver­wal­tung) Einkom­men gener­ieren. Die Super­sym­bol­ökonomie hebt diese Zugänglichkeit auf. Die Ein­trittshürde in Welt 3 – die Fähigkeit zur Meta-Reflex­ion, zur sou­verä­nen Nav­i­ga­tion in kom­plex­en Sym­bol­sys­te­men, zur kreativ­en Rekom­bi­na­tion – wird so hoch, dass sie für die Mehrheit unüber­wind­bar wird.

Die Kon­se­quenz: Eine neue Klas­sen­ge­sellschaft mit ontol­o­gis­ch­er Trennlin­ie. Nicht mehr nur unter­schiedliche Posi­tio­nen inner­halb der­sel­ben Welt, son­dern Zugang zu ver­schiede­nen Wel­ten:

  • Die Sym­bol-Elite: Operiert sou­verän in allen drei Wel­ten, vor allem aber gener­iert sie aktiv in Welt 3. Sie schafft die The­o­rien, Mod­elle, Codes, Nar­ra­tive, die die Gesellschaft struk­turi­eren. Sie dirigiert KI-Agen­ten­sys­teme, definiert Prob­lem­stel­lun­gen, set­zt Pri­or­itäten. Ihre Macht ist fun­da­men­tal: Sie definiert die sym­bol­is­chen Ord­nun­gen, inner­halb der­er alle anderen operieren.
  • Die Welt-2-Prak­tik­er: Men­schen, die in emo­tionaler Intel­li­genz, sozialer Kom­pe­tenz, kreativ­er Per­for­manz arbeit­en – Ther­a­peuten, Pfleger, Kün­stler, Coach­es. Sie bewe­gen sich primär in Welt 2, der sub­jek­tiv­en Sphäre. Ihr Wert ist real, aber begren­zt: Sie gestal­ten nicht die Struk­turen, sie wirken in ihnen.
  • Die Welt-1-Restanten: Die wach­sende Mehrheit, deren Tätigkeit­en entwed­er in physis­ch­er Arbeit beste­hen (soweit nicht automa­tisiert) oder so ein­fach sind, dass sie min­i­male Wertschöp­fung gener­ieren. Sie sind Kon­sumenten von Welt 3 – sie nutzen Apps, befol­gen Algo­rith­men, kon­sum­ieren Con­tent – aber nicht Pro­duzen­ten. Ihre Lebenswelt ist materiell, unmit­tel­bar, ohne Gestal­tungs­macht über die sym­bol­is­chen Ord­nun­gen, die ihr Leben struk­turi­eren.

Jen­seits der Wertschöp­fung: Die Sin­n­frage

Dies führt zu ein­er fun­da­men­tal­en Frage, die über ökonomis­che Analy­sen hin­aus­ge­ht: Was ist mit jenen, die in der Super­sym­bol­ökonomie keine Wertschöp­fungsrolle find­en? Die klas­sis­che Antwort des Kap­i­tal­is­mus – „Wer nicht pro­duk­tiv ist, hat keinen Wert” – wird hier zum exis­ten­ziellen Prob­lem. Denn im Unter­schied zu früheren Trans­for­ma­tio­nen, wo Unqual­i­fizierte zumin­d­est Muskelkraft verkaufen kon­nten, bietet die Super­sym­bol­ökonomie für rein physis­che Arbeit kaum noch Nach­frage. Und die Umschu­lung zur Sym­bo­l­ar­beit stößt an kog­ni­tive Gren­zen, die nicht vol­un­taris­tisch über­wind­bar sind.

Drei Szenar­ien sind denkbar:

  • Szenario 1: Ökonomis­che Mar­gin­al­isierung. Die Gesellschaft akzep­tiert fak­tisch eine Mehrk­lassen­struk­tur. Eine sym­bol­kom­pe­tente Elite gener­iert den Großteil der Wertschöp­fung, während wach­sende Teile der Bevölkerung von Trans­fer­leis­tun­gen abhängig wer­den. Bedin­gungslos­es Grun­deinkom­men wird zur notwendi­gen Infra­struk­tur, nicht aus Großzügigkeit, son­dern aus Sys­tem­sta­bil­ität. Die Gefahr: Sin­nver­lust, soziale Frag­men­tierung, poli­tis­che Radikalisierung jen­er, die sich ökonomisch über­flüs­sig fühlen.
  • Szenario 2: Diver­si­fizierung des Wert­be­griffs. Die Gesellschaft erken­nt, dass ökonomis­che Wertschöp­fung nicht der einzige Maßstab men­schlich­er Bedeu­tung ist. Care-Arbeit, kul­turelle Pro­duk­tion, soziales Engage­ment, lokale Gemein­schafts­bil­dung wer­den expliz­it aufgew­ertet – nicht als Rest­posten für die „Unpro­duk­tiv­en”, son­dern als eigen­ständi­ge Sphären des Wertvollen. Dies erfordert allerd­ings eine kul­turelle Rev­o­lu­tion: Die Abkehr vom Pro­duk­tiv­itäts­dog­ma, die Anerken­nung nicht-ökonomis­ch­er Sinns­tiftung.
  • Szenario 3: Hybride Mod­elle der Teil­habe. KI-Agen­ten­sys­teme wer­den so gestal­tet, dass sie auch Men­schen mit durch­schnit­tlichen Fähigkeit­en ermöglichen, kom­plexe Auf­gaben zu bewälti­gen – nicht als autonome Orches­tra­toren, aber als assistierte Prak­tik­er. Die Tech­nolo­gie wird zum Kom­pen­sator kog­ni­tiv­er Unter­schiede: Was der eine durch Meta-Kog­ni­tion leis­tet, erre­icht der andere durch gut designte KI-Assis­tenz. Dies set­zt allerd­ings voraus, dass Tech­nolo­gieen­twick­lung expliz­it Inklu­sion­sziele ver­fol­gt – ein Anspruch, der dem Mark­t­mech­a­nis­mus nicht inhärent ist.

Bil­dung: Notwendig, aber nicht hin­re­ichend

Damit zurück zur Bil­dungs­frage, jet­zt real­is­tis­ch­er ger­ahmt: Ja, Bil­dungssys­teme müssen sich radikal trans­formieren. Ja, die Kul­tivierung von Meta-Kog­ni­tion, Sym­bol­kom­pe­tenz, ethis­ch­er Urteil­skraft ist essen­ziell. Aber nein, dies wird nicht aus­re­ichen, um alle Men­schen zu Sym­bol-Orches­tra­toren zu machen. Bil­dung kann Poten­ziale entwick­eln, aber keine Poten­ziale erschaf­fen, die nicht angelegt sind.

Die ehrliche Antwort erfordert eine Dop­pel­strate­gie:

Für jene mit hohen kog­ni­tiv­en Kapaz­itäten: Inten­sive Förderung jen­er Meta-Kom­pe­ten­zen, die in der Super­sym­bol­ökonomie zen­tral sind. Nicht, um Eliten zu priv­i­legieren, son­dern weil diese Gruppe fak­tisch Gestal­tungs­macht haben wird – und diese Macht ethisch ver­ant­wortlich aus­geübt wer­den muss. Elite-Bil­dung darf nicht Selb­stzweck sein, son­dern muss expliz­it auf gesellschaftliche Ver­ant­wor­tung verpflichtet wer­den.

Für die Mehrheit: Befähi­gung zu einem guten Leben jen­seits von Spitzen­wertschöp­fung. Dies bedeutet: Grundle­gende Ori­en­tierung in der Sym­bol­welt (um nicht manip­ulier­bar zu sein), Fähigkeit­en zur Lebens­be­wäl­ti­gung, Zugang zu sinns­tif­ten­den Tätigkeit­en, Kul­tivierung emo­tionaler und sozialer Intel­li­genz – und die Entwick­lung ein­er Hal­tung, die eige­nen Wert nicht auss­chließlich aus ökonomis­ch­er Pro­duk­tiv­ität bezieht.

Die zivil­isatorische Her­aus­forderung

Die Super­sym­bol­ge­sellschaft stellt uns damit vor eine Frage, die tiefer reicht als ökonomis­che Opti­mierung: Wie organ­isieren wir eine Gesellschaft, in der ein sig­nifikan­ter Teil der Bevölkerung nicht mehr über Erwerb­sar­beit inte­gri­ert wer­den kann? Dies ist nicht primär ein tech­nis­ches oder päd­a­gogis­ches Prob­lem, son­dern ein zivil­isatorisches.

Die philosophis­che Analyse zeigt: Wertschöp­fung im KI-Zeital­ter erfordert hochspezial­isierte, anspruchsvolle Kom­pe­ten­zen. Die soziale Real­ität zeigt: Diese Kom­pe­ten­zen wer­den ungle­ich verteilt bleiben. Die ethis­che Kon­se­quenz: Wir brauchen neue Mod­elle der Zuge­hörigkeit, Teil­habe und Sinns­tiftung, die nicht auf uni­verseller ökonomis­ch­er Pro­duk­tiv­ität basieren.

Das KI-Zeital­ter ist damit nicht nur eine ökonomis­che oder tech­nol­o­gis­che Trans­for­ma­tion, son­dern eine anthro­pol­o­gis­che Zäsur: Der Über­gang von ein­er Gesellschaft, die Men­schen primär als Pro­duk­tions­fak­toren ver­ste­ht, zu ein­er Zivil­i­sa­tion, die men­schliche Würde und Teil­habe jen­seits ökonomis­ch­er Ver­w­ert­barkeit begrün­den muss. Die Super­sym­bol­ökonomie zwingt uns, eine alte Frage neu zu stellen: Was macht einen Men­schen wertvoll, wenn nicht seine Arbeit­skraft? Die Antwort auf diese Frage wird darüber entschei­den, ob die KI-Rev­o­lu­tion zur Emanzi­pa­tion oder zur Frag­men­tierung führt.

Das Schweigen der Opti­mis­ten

Die meis­ten Debat­ten über KI und Arbeit weichen dieser Frage aus. Sie flücht­en sich in tech­nol­o­gis­che Heilsver­sprechen („Bil­dung wird alle befähi­gen!”) oder ökonomis­che Beschwich­ti­gun­gen („Neue Jobs entste­hen!”). Doch die harte Wahrheit ist: Die Super­sym­bol­ökonomie schafft eine Gesellschaft, in der kog­ni­tive Kapaz­itäten zur zen­tralen Ressource wer­den – und diese Ressource ist fun­da­men­tal ungle­ich verteilt.

Wir ste­hen vor ein­er Wahl: Entwed­er akzep­tieren wir diese neue Ungle­ich­heit und gestal­ten Mech­a­nis­men, die ein würdi­ges Leben auch für jene ermöglichen, die nicht zur Sym­bol-Elite gehören. Oder wir ver­drän­gen die Real­ität weit­er – bis die soziale Span­nung sich in Krisen entlädt.

Die erste Option erfordert Mut zur Ehrlichkeit und die Bere­itschaft, den Wert­be­griff neu zu denken. Die zweite führt in eine Gesellschaft der Ver­bit­terung, in der sich wach­sende Teile der Bevölkerung ökonomisch über­flüs­sig und sozial unsicht­bar fühlen.

Das KI-Zeital­ter zwingt uns zur Wahrheit – über die Gren­zen men­schlich­er Fähigkeit­en, über die Natur von Wert, über die Grund­la­gen men­schlich­er Würde. Diese Wahrheit ist unbe­quem. Aber sie ist der einzige Aus­gangspunkt für eine humane Gestal­tung der Zukun­ft.

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