Getting your Trinity Audio player ready...

Exzel­lente Forschung, die keine Pro­duk­te her­vor­bringt. Unternehmen, die KI nur zur Kostensenkung nutzen. Eine Cloud-Ini­tia­tive, die in Bürokratie erstickt. Während Europa auf allen Ebe­nen ver­sagt, ern­ten US-Tech-Gigan­ten die Früchte deutsch­er Grund­la­gen­forschung. Cecil­ia Rikap nen­nt es intellek­tuelle Mono­pole – und Europa hat keine Antwort darauf.


Europas ver­lorenes KI-Jahrzehnt: Wenn gute Forschung auf schlechte Struk­turen trifft
Deutsche Uni­ver­sitäten betreiben seit Jahrzehn­ten erfol­gre­iche KI-Forschung. Insti­tu­tio­nen wie Fraun­hofer und Helmholtz ver­fü­gen über beträchtliche Bud­gets und exzel­lente Wis­senschaftler. Die Europäis­che Union investiert Mil­liar­den in Forschung­spro­gramme und dig­i­tale Sou­veränität. Und den­noch: Aus dieser imposan­ten Maschiner­ie entste­hen kaum Start-ups, sel­ten mark­t­fähige Inno­va­tio­nen und keine Unternehmen, die glob­al mit­spie­len kön­nten. Was nach außen wie ein Rät­sel wirkt, ist bei genauer­er Betra­ch­tung das Ergeb­nis mehrerer struk­tureller Fehler, die sich gegen­seit­ig ver­stärken.

Die Ökonomin Cecil­ia Rikap hat den Kern des Prob­lems präzise analysiert: US-amerikanis­che Tech-Gigan­ten wie Ama­zon, Microsoft und Google haben ein glob­ales Forschungsnet­zw­erk aufge­baut, das ihnen ermöglicht, intellek­tuelle Mono­pole zu erricht­en. Sie kon­trol­lieren nicht nur den Markt für KI-Mod­elle, son­dern for­men die Inno­va­tion­san­reize und erschw­eren sys­tem­a­tisch den Mark­tein­tritt neuer Wet­tbe­wer­ber. Das Per­fide daran: Europäis­che Forschung ist gut, Wis­sen wird gemein­sam pro­duziert – aber wirtschaftlich prof­i­tieren fast auss­chließlich die großen US-Konz­erne von den Ergeb­nis­sen. Europa spielt trotz mas­siv­er Forschungsin­vesti­tio­nen nur eine periph­ere Rolle in der glob­alen KI-Ökonomie.

Diese Asym­me­trie wird durch struk­turelle Schwächen auf europäis­ch­er Seite ver­schärft. Da ist zunächst die inef­fiziente Ressource­nal­loka­tion in der Forschungs­land­schaft selb­st. Viel Aufwand, Zeit und Geld ver­sick­ern in bürokratis­chen und wenig mark­to­ri­en­tierten Pro­jek­ten bei etablierten Insti­tu­tio­nen, die sich in end­losen Pro­to­type­n­phasen und lang­wieri­gen Genehmi­gung­sprozessen ver­lieren. Ressourcen bleiben gebun­den, die drin­gend an ander­er Stelle gebraucht wür­den: bei muti­gen Grün­dern, agilen Start-ups oder beim Auf­bau datengetrieben­er Ökosys­teme. Kap­i­tal, Tal­ente und Man­age­men­tka­paz­itäten ver­har­ren in inef­fizien­ten Struk­turen, statt trans­for­ma­tive Wirkung zu ent­fal­ten.

Doch selb­st wenn die Forschung Ergeb­nisse liefert, scheit­ert die Kom­merzial­isierung am Mind­set deutsch­er Unternehmen. Trotz offizieller Investi­tions­bere­itschaft dominiert eine kon­ser­v­a­tive Hal­tung: KI wird zur Kostenre­duk­tion und Effizien­zsteigerung einge­set­zt, nicht als Inno­va­tion­s­mo­tor oder Grund­lage für neue Geschäftsmod­elle. Nur ein klein­er Teil der Unternehmen denkt KI-Strate­gien grund­sät­zlich um. Die Ver­net­zung und der offene Date­naus­tausch bleiben drama­tisch unter­en­twick­elt – jedes Unternehmen arbeit­et lieber für sich, was Koop­er­a­tion und leis­tungsstarke KI-Daten­räume block­iert. Die für echte Inno­va­tion notwendi­ge ver­trauensvolle Zusam­me­nar­beit über Unternehmensgren­zen hin­weg find­et schlicht nicht statt.

Als wäre dies nicht genug, ver­sagt auch die poli­tis­che Antwort auf europäis­ch­er Ebene. Gaia‑X wurde als großer Wurf konzip­iert, als europäis­che Alter­na­tive zu amerikanis­chen und chi­ne­sis­chen Tech-Gigan­ten. Her­aus­gekom­men ist ein Lehrstück über Bürokratie und Real­itätsver­lust. Diskus­sio­nen über Stan­dards, interne Quere­len und man­gel­nde Ziel­rich­tun­gen haben das Pro­jekt aufge­bläht und sein­er Wirk­samkeit beraubt. Kri­tik­er sprechen inzwis­chen von einem „Papier­tiger”, selb­st namhafte Insid­er fordern einen Investi­tion­sstopp. Die ursprüngliche Idee eines offe­nen, sou­verä­nen europäis­chen Daten­raums wurde durch Detail­fra­gen, Fördergeld­kürzun­gen und den Lob­by­is­mus der US-Hyper­scaler aus­ge­bremst. Gaia‑X ist zum Sym­bol für eine Poli­tik gewor­den, die Ankündi­gun­gen mit Ergeb­nis­sen ver­wech­selt.

Rikap trifft den Kern, wenn sie kri­tisiert, dass die EU-Kom­mis­sion dem Prob­lem immer noch mit tra­di­tionellen Ansätzen aus dem indus­triellen Kap­i­tal­is­mus begeg­net. Man fördert existierende Indus­triezweige, set­zt auf klas­sis­che Indus­triepoli­tik – statt den struk­turellen Ein­fluss der US-Unternehmen im KI-Ökosys­tem anzuerken­nen und radikal andere Wege zu gehen. Während die Tech-Gigan­ten längst in ein­er Ära intellek­tueller Mono­pole operieren, in der sie Forschungsnet­zw­erke kon­trol­lieren und Gewinne konzen­tri­eren, denkt Europa noch in Kat­e­gorien von Sub­ven­tio­nen und Stan­dard­set­zung.

Das Ergeb­nis ist ein per­fek­ter Sturm aus Inef­fizienz: Forschungsin­sti­tute pro­duzieren Wis­sen, das nicht kom­merzial­isiert wird. Unternehmen haben wed­er das Mind­set noch die Koop­er­a­tions­bere­itschaft für echte Inno­va­tion. Poli­tis­che Großpro­jek­te erstick­en in Bürokratie. Und über allem thro­nen die US-Tech-Konz­erne, die am Ende die Früchte europäis­ch­er Grund­la­gen­forschung ern­ten. Zahlre­iche deutsche Start-ups arbeit­en zwar mit KI, aber der Rück­stand bei inter­na­tion­al wet­tbe­werb­s­fähi­gen Lösun­gen wächst. Finanzierungs- und Reg­ulierungs­fra­gen ver­schär­fen die Sit­u­a­tion zusät­zlich.

Was nötig wäre, liegt auf der Hand: dezen­tral organ­isierte, KI-inte­gri­erte Datenökosys­teme als Basis für echt­en Wet­tbe­werb. Ein offeneres Mind­set, das erken­nt, dass nur durch Zusam­me­nar­beit und geteilte Dat­en zukun­fts­fähige Lösun­gen entste­hen. Eine Neuaus­rich­tung der Ressource­nal­loka­tion, damit Investi­tio­nen bei muti­gen Unternehmern und agilen Struk­turen ankom­men. Und vor allem eine Poli­tik, die Machtkonzen­tra­tio­nen aktiv reduziert statt sie mit bürokratis­chen Schein­lö­sun­gen zu kaschieren.

Doch solange auf allen Ebe­nen – Forschung, Wirtschaft, Poli­tik – Struk­turen dominieren, die Inno­va­tion sys­tem­a­tisch behin­dern, wird Europa im glob­alen KI-Wet­tbe­werb besten­falls Zuschauer bleiben. Rikaps Analyse der intellek­tuellen Mono­pole ist nicht nur eine Beschrei­bung des Sta­tus quo, son­dern auch eine War­nung: Wer die neuen Macht­struk­turen nicht ver­ste­ht, hat sie bere­its akzep­tiert.


Quellen:

“Cap­i­tal­ism, Pow­er and Inno­va­tion: Intel­lec­tu­al Monop­oly Cap­i­tal­ism Uncov­ered” (Rout­ledge, 2021)
Ihr preis­gekröntes Hauptwerk (EAEPE Joan Robin­son Prize)
Sys­tem­a­tis­che Analyse der intellek­tuellen Mono­pole und deren Kon­trolle über Wis­sen und Dat­en
https://www.routledge.com/Capitalism-Power-and-Innovation-Intellectual-Monopoly-Capitalism-Uncovered/Rikap/p/book/9780367750299

“The Rulers: Cor­po­rate Pow­er in the Age of AI and the Cloud” (2025)

Ihr neuestes Buch über Big Tech-Macht im KI-Zeital­ter
https://www.penguinrandomhouse.com/books/790833/the-rulers-by-cecilia-rikap/

“The Dig­i­tal Inno­va­tion Race: Con­cep­tu­al­iz­ing the Emerg­ing New World Order” (Springer, 2021)
Mit Bengt-Åke Lund­vall
Fokus auf KI-Wet­t­lauf zwis­chen USA und Chi­na
https://link.springer.com/book/10.1007/978–3‑030–89443‑6

Artikel zur EU-Poli­tik und Europa

“Europe Needs an EC-Led AI Plan for the Peo­ple and the Plan­et” (AI Now Insti­tute, April 2025)
Kri­tik an EU-Indus­triepoli­tik: “EU-Kom­mis­sion nähert sich dem Prob­lem mit tra­di­tionellen Ansätzen aus dem indus­triellen Kap­i­tal­is­mus”

II. Europe Needs an EC-Led AI Plan for the Peo­ple and the Plan­et

“Reclaim­ing Dig­i­tal Sov­er­eign­ty: A Roadmap to build a Dig­i­tal Stack for Peo­ple and the Plan­et” (FEPS/FES Pol­i­cy Brief, Sep­tem­ber 2025)

Konkrete Vorschläge für europäis­che dig­i­tale Sou­veränität

https://feps-europe.eu/publication/a‑progressive-roadmap-for-expanding-european-digital-sovereignty/

“Reori­ent­ing Euro­pean AI and Inno­va­tion Pol­i­cy” (AI Now Insti­tute, April 2025)
Teil der Samm­lung “Redi­rect­ing Europe’s AI Indus­tri­al Pol­i­cy”

https://ainowinstitute.org/publications/i‑reorienting-european-ai-and-innovation-policy

Wichtige wis­senschaftliche Artikel

“Cap­i­tal­ism As Usu­al?” (New Left Review, Nr. 139, Jan­u­ar-Feb­ru­ar 2023)
Debat­ten­beitrag zu intellek­tuellem Monopolka­p­i­tal­is­mus
Diskus­sion mit Evge­ny Moro­zov über neue Pro­duk­tions­for­men
https://newleftreview.org/issues/ii139/articles/capitalism-as-usual

“Intel­lec­tu­al Monop­o­lies as a New Pat­tern of Inno­va­tion and Tech­no­log­i­cal Regime” (Indus­tri­al and Cor­po­rate Change, 2024)

Analyse des KI-Ökosys­tems: “entrenched and estab­lished core of Big Tech sur­round­ed by a tur­bu­lent periph­ery”

https://doi.org/10.1093/icc/dtad077

“Dynam­ics of Cor­po­rate Gov­er­nance Beyond Own­er­ship in AI” (Com­mon Wealth, Mai 2024)
Wie Big Tech über Eigen­tums­gren­zen hin­aus kon­trol­liert

https://www.common-wealth.org/publications/dynamics-of-corporate-governance-beyond-ownership-in-ai

Inter­views und Pod­casts

“Cecil­ia Rikap on Intel­lec­tu­al Monop­oly Cap­i­tal­ism and Cor­po­rate Pow­er in the Age of AI” (Future His­to­ries Inter­na­tion­al, März 2025)

Umfassendes Inter­view zur The­o­rie intellek­tueller Mono­pole
https://www.futurehistories-international.com/episodes/s03/e34-cecilia-rikap-on-intellectual-monopoly-capitalism-and-corporate-power-in-the-age-of-ai/

“Big Tech, Nation­al AI Pol­i­cy, and Dig­i­tal Depen­den­cy” (SPCIS Inter­view, Dezem­ber 2024)
Zu EU, US, Chi­na und deren Ver­hält­nis zu Big Tech

https://www.spcis.org/post/cecilia-rikap-big-tech-national-ai-policy-and-digital-dependency

“Becom­ing less depen­dent on Big Tech” (FEPS Talks Pod­cast, April 2025)
Inter­view zu dig­i­taler Sou­veränität Europas

https://feps-europe.eu/audiovisual/becoming-less-dependent-on-big-tech-with-cecilia-rikap/

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert