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Ein junges Startup will mit künstlicher Intelligenz erreichen, wofür Heerscharen von Beratern Monate brauchen – und stellt damit die Existenzberechtigung einer ganzen Branche infrage.
Es gibt Momente in der Wirtschaftsgeschichte, in denen eine scheinbar bescheidene Innovation das Fundament ganzer Industrien erschüttert. Die Digitalkamera veränderte Kodak. E‑Commerce zwang den Einzelhandel zur Neuerfindung. Jetzt könnte die nächste Disruption ausgerechnet jene Branche treffen, die sich selbst als Architektin der digitalen Transformation versteht: die IT-Beratung.
Das Startup Echelon hat mit einer Finanzierung von 4,75 Millionen US-Dollar eine Technologie entwickelt, die wie eine direkte Kampfansage an die etablierten Player klingt. Ihr Versprechen: Was Accenture, Deloitte und andere Beratungsriesen in monatelanger Arbeit und für Millionenbeträge implementieren, erledigen KI-Agenten in Bruchteilzeit. Erste Projekte, die normalerweise ein halbes Jahr in Anspruch nehmen, wurden in sechs Wochen abgeschlossen. Das ist keine inkrementelle Verbesserung – das ist eine Zehnerpotenz.
Das lukrative Geschäft mit der Unübersichtlichkeit
Um die Tragweite zu verstehen, lohnt ein Blick auf das, was auf dem Spiel steht. Der globale Markt für IT-Services wird auf 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt. Ein erheblicher Teil davon entfällt auf die Implementierung von Unternehmenssoftware – jene oft mühsamen Projekte, bei denen Systeme wie ServiceNow, SAP oder Salesforce an die spezifischen Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst werden.
Diese Projekte sind notorisch undurchsichtig, zeitintensiv und teuer. Die Komplexität wird dabei nicht selten von den Beratern selbst kultiviert, wenn nicht gar künstlich erzeugt. Denn Unübersichtlichkeit ist kein Bug des Systems, sondern ein Feature: Je undurchschaubarer der Prozess, desto unverzichtbarer erscheint die Expertise derjenigen, die sich darin auskennen. Das Geschäftsmodell der großen Beratungshäuser basiert nicht nur darauf, Expertise zu verkaufen, sondern vor allem Zeit – gemessen in Berater-Stunden, die sich zu stattlichen Rechnungen summieren.
Echelon attackiert dieses Modell an seiner profitabelsten Stelle. Das Unternehmen fokussiert sich zunächst auf ServiceNow-Implementierungen und verspricht, was in der Branche als unmöglich galt: vollständig automatisierte End-to-End-Implementierungen. Die KI-Agenten analysieren Anforderungen, stellen Rückfragen, erstellen Konfigurationen – alles ohne menschliches Zutun, zumindest im Idealfall.
Die wahre Sprengkraft dieses Ansatzes liegt nicht nur in der Zeitersparnis. Sie liegt darin, dass Echelon die Unübersichtlichkeit als das entlarvt, was sie oft ist: nicht technisch notwendig, sondern ökonomisch motiviert. Wenn KI-Agenten in sechs Wochen schaffen, wofür Menschen sechs Monate brauchen, stellt sich die unbequeme Frage: Wie viel von dieser Zeit war wirklich nötig? Und wie viel davon diente vor allem dazu, Rechnungen zu rechtfertigen?
Mehr als nur ein Codier-Assistent
Was Echelons Ansatz von herkömmlichen KI-Tools unterscheidet, ist die Tiefe des integrierten Wissens. Während generische Programmier-Assistenten wie GitHub Copilot helfen, Code zu schreiben, hat Echelon seine Agenten mit dem Domänenwissen erfahrener Berater aus führenden Consultingfirmen trainiert. Die KI kennt nicht nur die Syntax, sondern auch die Best Practices, typische Fallstricke und bewährte Lösungsmuster.
Dies ist ein entscheidender Unterschied. Unternehmenssoftware-Implementierungen scheitern selten an technischen Problemen, sondern an mangelndem Verständnis der Geschäftsprozesse, unklaren Anforderungen oder fehlender Erfahrung mit ähnlichen Projekten. Echelons Wette ist, dass sich genau dieses erfahrungsbasierte Wissen kodifizieren und in Algorithmen gießen lässt.
Ob diese Wette aufgeht, wird sich zeigen müssen. Skeptiker werden zu Recht auf die Herausforderungen hinweisen: Wie zuverlässig arbeiten die Agenten bei unvorhergesehenen Anforderungen? Können sie mit der politischen Komplexität umgehen, die jedes größere IT-Projekt prägt? Wie skalierbar ist der Ansatz wirklich?
Die Demokratisierung der Enterprise-Software
Doch selbst wenn Echelon nur einen Teil seines Versprechens einlöst, sind die Implikationen weitreichend. Denn es geht nicht nur darum, Beratungskosten zu senken. Es geht um die Demokratisierung von Enterprise-Technologie.
Bisher war hochwertige Unternehmenssoftware faktisch größeren Organisationen vorbehalten – nicht wegen der Lizenzkosten, sondern wegen der Implementierungskosten. Kleinere Unternehmen konnten sich die monatelangen Beratungsprojekte schlicht nicht leisten. Wenn KI-Agenten diese Barriere senken, könnte eine ganz neue Kategorie von Unternehmen Zugang zu Tools bekommen, die bisher außer Reichweite waren.
Echelon plant bereits die Expansion über ServiceNow hinaus auf Plattformen wie SAP, Salesforce und Workday. Sollte dies gelingen, stünde nicht weniger als die Neuordnung der Software-Implementierungslandschaft bevor. Die großen Beratungshäuser würden sich gezwungen sehen, ihr Geschäftsmodell grundlegend zu überdenken – weg von der Abrechnung nach Stunden, hin zu neuen Formen der Wertschöpfung.
Ein Blick in die Zukunft der Professional Services
Echelon ist mehr als nur ein weiteres KI-Startup. Das Unternehmen könnte zum Testfall für eine fundamentale Frage werden: Welche professionellen Dienstleistungen lassen sich automatisieren, und welche bleiben menschliche Domäne?
Die Geschichte der Automatisierung legt nahe, dass die Antwort komplexer ist als ein simples Entweder-oder. Wahrscheinlicher ist eine Neudefinition von Rollen: Berater könnten sich von der technischen Implementierung auf strategische Beratung und Change Management konzentrieren. Die repetitiven, wissensbasierten Aufgaben – das Konfigurieren, das Anpassen, das Testen – übernehmen die Maschinen.
Ob dies zu weniger Jobs oder einfach zu anderen Jobs führt, wird eine der zentralen Fragen der kommenden Jahre sein. Fest steht: Die Ära, in der Komplexität per se ein verteidigbarer Wettbewerbsvorteil war, neigt sich dem Ende zu. Unternehmen wie Echelon machen Komplexität beherrschbar – und genau darin liegt sowohl ihre Bedrohung als auch ihr Versprechen.
Die großen IT-Dienstleister werden diese Entwicklung nicht ignorieren können. Sie haben die Wahl: Entweder sie werden selbst zu Pionieren der Automatisierung, oder sie werden deren Opfer. Die Ironie der Geschichte will es, dass ausgerechnet jene, die anderen die digitale Transformation verkaufen, nun selbst transformiert werden müssen.