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Von Ralf Keuper
Sofern KI-Agenten oder agentenbasierte Systeme jemals in der Lage sein werden, schöpferisch zu sein, d.h. bisher Niedagewesenes erzeugen können, werden sie zuvor das Spielen lernen müssen. So jedenfalls, wenn wir den Gedanken von Konrad Lorenz folgen wollen.
Lorenz schreibt:
Die mannigfachen Untersysteme des Könnens und Erkennens, der einzeln erlernten, gekonnten Bewegungsweisen und der in Tradition kumulierten Fähigkeiten des Wissenserwerbs, erlangen im Menschen eine Selbständigkeit, die sie bei keinem anderen Lebewesen besitzen, und werden damit dem zweckstrebenden Menschen unabhängig voneinander verfügbar und damit frei kombinierbar. Sie alle werden begrifflich faßbar, und der Mensch beginnt mit ihnen zu >spielen<. Schon bei der Herstellung einfachster zweckdienlicher Gegenstände können Menschen einfachster Kulturstufen nicht umhin, >Schönes< zu schaffen. … 1Die Vorstellung einer zweckgerichteten Weltordnung, in: Das Wirkungsgefüge der Natur und das Schicksal des Menschen. Gesammelte Aufsätze
Im Erkennen des Menschen spielt sich Analoges ab wie in seinem Können. Kognitive Leistungen verschiedener Art, alle jene, aus deren Integration das begriffliche Denken einst erwuchs, und viele neue besonderer Art treten miteinander in eine vielfache Wechselwirkung, die im engeren Sinne als die, in der Manfred Eigen das Weltgeschehen als solches bezeichnet, ein >Spiel< genannt zu werden verdient. Getrieben von Neugier, von der Hauptmotivation des Spiels in seinem ursprünglichsten und speziellsten Sinn, die schon bei Tieren eine wesentliche Rolle spielt und die entscheidend zur Entstehung des begrifflichen Denkens beigetragen hat, erblüht im denkenden Menschen ein Spiel der Gedanken, das merkwürdig ähnlichen Regeln gehorcht wie das große Spiel der Wechselwirkungen, das den Menschen geschaffen hat. So schöpferisch wie in diesem wirken Zufall und Gesetz auch in dem Spiel des Erkenntnisstrebens zusammen, die Regeln, denen es folgt, sind ähnlich. Das Prinzip von Versuch und Irrtum, das im stammesgeschichtlichen Werden die Form von Erbänderung und Selektion annimmt, findet sich auf der höheren Integrationsebene des menschlichen Erkenntnisstrebens als Hypothesenbildung und Falsifikation wieder. Vor allem aber ist der Modus, in dem neue Gedanken, neue Erkenntnisse entstehen, prinzipiell identisch mit jenem, der im Evolutionsgeschehen Niedagewesenes entstehen lässt. Fast immer entsteht die neue Erkenntnis daraus, dass zwei bereits existente Gedankengänge zu einer Einheit integriert werden, die neue Systemeigenschaften besitzt. ‑die Ausdrücke der gewachsenen Sprache, wie >Gedankenblitz< oder >es ist mir ein Licht aufgegangen<, sind, wie ich nachträglich festgestellt habe, meinem mühsam gesuchten Terminus >Fulguration< sehr ähnlich.
Inwieweit kann die verteilte Künstliche Intelligenz neue Erkenntnisse erzeugen, bei der, wie Lorenz schreibt, “zwei bereits existente Gedankengänge zu einer Einheit integriert werden, die neue Systemeigenschaften besitzt”. Kurzum: Können KI-Agenten und agentenbasierte Systeme emergente Fähigkeiten — in dem von Lorenz beschriebenen Sinn — entwickeln? Können sie spielen?