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Die Frankfurter Schule und ihre Nachfolger pflegten über Jahrzehnte eine exklusive Deutungshoheit über Kultur und Gesellschaft. Doch ihr Einfluss schwand bereits lange vor dem Aufstieg der KI. Mit generativer KI wird nun endgültig sichtbar, was sich schon abzeichnete: Eine neue Elite entsteht – technologieaffin, pragmatisch und der traditionellen Intellektuellenkultur fremd. Was bleibt von Adorno, Kluge und Co. ist vor allem eines: ästhetisches Erbe ohne praktische Relevanz.
Die Verschiebung der Macht
Der Niedergang der Frankfurter Schule und ihrer intellektuellen Erben begann nicht erst mit ChatGPT. Ihr gesellschaftlicher Einfluss erodierte bereits seit Jahrzehnten, ihre Deutungshoheit schwand schleichend in einer Welt, die sich zunehmend pragmatisch, ökonomisch und technologisch neu ordnete. Doch mit dem Aufkommen generativer KI wird dieser Bedeutungsverlust nun endgültig und unwiderruflich sichtbar.
ChatGPT, DALL·E und Stable Diffusion sind mehr als nur Werkzeuge – sie demokratisieren kreative und analytische Leistungen in einem Ausmaß, das die jahrhundertealte Monopolstellung der Bildungselite nicht nur erschüttert, sondern obsolet macht. Wissen, künstlerische Innovation und intellektuelle Arbeit sind nicht länger an privilegierte Milieus, akademische Weihen oder kulturelles Kapital gebunden. Sie werden verfügbar für alle, die den Umgang mit den neuen Technologien beherrschen.
Diese Verschiebung trifft die traditionellen Intellektuellen ins Mark, auch wenn sie längst nicht mehr die Kraft früherer Jahrzehnte besitzen. Ihre Exklusivität beruhte stets auf Hermetik, auf einem Fachwissen, das nur durch jahrelanges Studium zugänglich wurde, auf einer Sprache, die Eingeweihte von Außenstehenden trennte.
Doch diese Währung verlor bereits im ausgehenden 20. Jahrhundert an Wert – durch Massenmedien, Internet und die Pluralisierung der Diskurse. Nun aber diktiert die Technik endgültig die Spielregeln. Selbst wenn etablierte Figuren wie Alexander Kluge mit KI experimentieren und ihre Funktionsweisen reflektieren, bleiben sie letztlich Beobachter eines Prozesses, den andere gestalten.
Die Technikblindheit der Frankfurter Schule
Der Kern des Problems liegt tiefer: Technik war der Frankfurter Schule und ihren Nachfolgern immer wesensfremd. Adorno, Horkheimer und Marcuse betrachteten technische Rationalität mit Skepsis, als Instrument von Kontrolle, Entfremdung und Herrschaft. Informatik, digitale Systeme oder gar maschinelle Kreativität spielten in ihren Theorien keine Rolle – Technologie blieb eine Black Box, die aus sicherer geisteswissenschaftlicher Distanz kritisch kommentiert, aber nie wirklich verstanden oder gestaltet wurde.
Diese Haltung wurzelt philosophisch in der Nähe zu Martin Heidegger, nicht zu Ernst Cassirer. Heidegger begriff Technik als „Ge-stell”, als eine Art Weltzugriff, der das Eigentliche verdeckt und das Menschliche reduziert. Technik erscheint bei ihm als fremd, potenziell bedrohlich, als etwas, das das Sein verstellt. Diese skeptische, oft kulturpessimistische Perspektive prägte die Frankfurter Schule nachhaltig. Technik blieb „das Andere” – niemals uneingeschränkt kultur- oder sinnstiftend, sondern stets ambivalent oder gefährlich.
Auch Hans-Georg Gadamers Hermeneutik, so einflussreich sie für die Geisteswissenschaften wurde, behandelt Technik eher als Randphänomen denn als zentralen Gegenstand philosophischer Reflexion. Die Technikphilosophie insgesamt blieb in der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition lange marginal – eine Reflexion über Technik, nicht ein Denken mit und durch Technik. Dennoch bietet gerade die hermeneutische Tradition wertvolle Einsichten für das Verständnis technischer Systeme: Die Frage nach Vorverständnis, Interpretationshorizonten und der Geschichtlichkeit des Verstehens wird hochrelevant, wenn es um die „Lesbarkeit” von Algorithmen, die Interpretation von Datenstrukturen oder die kulturelle Einbettung technischer Artefakte geht.
Ernst Cassirer hingegen entwickelte mit seiner Philosophie der symbolischen Formen ein grundlegend anderes Verständnis: Technik als Teil kreativer Welterschließung, als Ausdruck menschlicher Symbol- und Schöpfungskraft, als Kulturleistung und Erweiterung geistiger Freiheit. Doch diese konstruktive, offene Perspektive fand in der Tradition von Kluge, Adorno und Co. kaum Resonanz. Fixiert auf Gefahren, Zwänge und Ambivalenzen blieb ihnen ein produktives, neugieriges Verhältnis zur technischen Innovation verwehrt.
Diese philosophische Grundhaltung setzt sich bis heute fort und erklärt, warum diese intellektuelle Tradition im KI-Zeitalter so wenig anschlussfähig ist. Kluge und seine Generation bewegen sich souverän in den Feldern von Literatur, Film und Philosophie, doch die Mechanismen, Codes und Dynamiken digitaler Technologien bleiben ihnen verschlossen. Sie pflegen alte Deutungs- und Kulturtechniken, geprägt von Heideggers melancholischer Distanz, während eine neue Generation heranwächst, die nicht nur über Technologie spricht, sondern sie beherrscht, entwickelt und kreativ einsetzt – näher an Cassirers Verständnis von Technik als Medium menschlicher Gestaltungskraft.
Neue Eliten, neue Kompetenzen
Die kommende intellektuelle Elite definiert sich nicht mehr über institutionelles Wissen oder kulturelles Kapital, sondern über Technologiekompetenz. Wer heute gesellschaftliche, kulturelle und ästhetische Debatten prägen will, muss KI steuern, orchestrieren und produktiv nutzen können. Die Fähigkeit, mit und durch neue Technologien zu denken und zu schaffen, wird zum entscheidenden Unterscheidungsmerkmal.
Eine Ironie der Geschichte: Alexander Karp, Mitgründer und CEO von Palantir – einem der einflussreichsten Technologieunternehmen für Datenanalyse und Überwachung – studierte in Frankfurt Philosophie und setzte sich intensiv mit der Frankfurter Schule auseinander. Doch statt ihre kulturkritische Distanz zu übernehmen, kehrte er ihre Einsichten in ihr Gegenteil: Er wurde nicht Warner vor technischer Macht, sondern ihr Architekt. Wo Adorno und Horkheimer die Gefahren der instrumentellen Vernunft analysierten, baute Karp Systeme, die genau diese Vernunft in beispiellosem Ausmaß implementieren. Die Theorie blieb akademisch, die Praxis eroberte die Welt.
Damit wird ein grundlegender Graben sichtbar: Auf der einen Seite stehen die traditionellen Intellektuellen mit ihrer geisteswissenschaftlichen Reflexion, auf der anderen Seite eine technologisch versierte Gruppe, die nicht fragt, was Technologie bedeutet, sondern was man mit ihr machen kann. Die Deutungshoheit der alten Garde schwindet, ihre gesellschaftliche Relevanz erodiert.
Ästhetisches Erbe, praktische Irrelevanz
Was bleibt also von der Arbeit Kluges, Adornos und ihrer Zeitgenossen? Ihr Wert ist heute primär ästhetischer, theoretischer und diskursiver Natur. Ihre Werke werden geschätzt als Inspiration für Kunst, Literatur und philosophische Debatten, als kultur- und kunstgeschichtliche Dokumente einer vergangenen Epoche. Doch ihr unmittelbarer Einfluss auf gesellschaftliche, technologische oder wirtschaftliche Entwicklungen ist minimal.
Dennoch wäre es voreilig, geisteswissenschaftliche Theorien vollständig abzuschreiben. Gerade die Frankfurter Schule lieferte analytische Werkzeuge, die für das Verständnis technischer Systeme und ihrer gesellschaftlichen Wirkungen hochrelevant bleiben: Konzepte wie instrumentelle Vernunft, Kulturindustrie oder die Dialektik der Aufklärung helfen, Machtstrukturen in algorithmischen Systemen, die Ökonomie der Aufmerksamkeit oder die Ambivalenzen technischen Fortschritts zu durchschauen. Das Beispiel Alexander Karp zeigt dies paradoxerweise: Seine philosophische Schulung ermöglichte ihm vermutlich ein tieferes Verständnis der Systeme, die er schuf – auch wenn er ihre kritischen Impulse nicht befolgte.
Das Problem ist nicht, dass diese Theorien wertlos wären, sondern dass sie isoliert bleiben. Wer nur kritisiert, ohne zu gestalten, wer nur warnt, ohne Alternativen zu entwickeln, verliert zwangsläufig an Einfluss. Die großen Transformationen unserer Zeit – der Aufstieg der KI, die Digitalisierung aller Lebensbereiche, die Neuorganisation von Arbeit und Kommunikation – vollziehen sich weitgehend unabhängig von geisteswissenschaftlichen Analysen. Ihr Wirkungskreis beschränkt sich auf akademische Räume, Feuilletons und künstlerische Zirkel. In wirtschaftlichen, politischen oder technologischen Entscheidungsprozessen bleiben sie ohne spürbaren Einfluss.
Der Paradigmenwechsel
Generative KI markiert nicht nur einen technologischen, sondern auch einen kulturellen Paradigmenwechsel – und macht einen Prozess sichtbar, der längst im Gang war. Die exklusive Aura des traditionellen Intellektuellen erodierte bereits seit den 1980er Jahren, mit der Ausdifferenzierung der Medienlandschaft, der Ökonomisierung der Universitäten und dem Verlust verbindlicher Diskursräume. Die Allgegenwart smarter digitaler Assistenten vollzieht nun nur noch den letzten Akt dieser Entwicklung.
Die Macht verschiebt sich von denen, die deuten, zu denen, die gestalten. Von denen, die Kultur analysieren, zu denen, die Werkzeuge entwickeln. Dieser Wandel begann nicht mit KI, aber KI macht ihn irreversibel und für jeden sichtbar.
In dieser neuen Welt ist die Technikferne der Frankfurter Schule nicht mehr nur eine theoretische Schwäche, sondern ein praktisches Handicap. Wer die Sprache der Algorithmen nicht spricht, wer Informatik als fremdes Terrain betrachtet, wird zunehmend an den Rand gedrängt. Was bleibt, ist ein kulturelles Vermächtnis – bedeutsam für die Geistesgeschichte, sichtbar in intellektuellen Kreisen, aber ohne Durchschlagskraft in der dynamischen, technologiegetriebenen Gegenwart.
Die neue Elite ist bereits da. Sie programmiert, trainiert Modelle und gestaltet die Werkzeuge, mit denen künftige Generationen denken werden. Die alten Intellektuellen schauen zu – eloquent, reflektiert, aber zunehmend irrelevant.