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Von Ralf Keuper
Wer sich die Meldungen der letzten Monate im Bereich der Coding-Assistenten und Frameworks für die automatisierte Softwareerstellung sowie Meldungen von Unternehmen wie Meta und Salesforce ansieht, könnte zu dem Schluss kommen, dass die Tage der Softwareentwickler gezählt sind.
Dem halten Christine Regitz, Präsidentin der Gesellschaft für Informatik (GI), und Antonio Krüger, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, entgegen, dass Programmierkenntnisse auch künftig noch benötigt werden — womöglich mehr denn je. Ein Informatikstudium sei mehr als Programmieren. “Es vermittelt die ganze Spanne an Fähigkeiten, die eine gute Entwicklerin ausmachen. Und wer entwickelt, gestaltet. Anstatt nur auszuführen, geht es in diesem Beruf darum, kreative Lösungen zu finden. Und diese dann immer wieder kritisch zu hinterfragen. Die Fähigkeiten, die im Informatikstudium erlernt werden, gehen weit über die Kenntnis einzelner Programmiersprachen hinaus und reichen von konzeptionellem Denken und einem Verständnis für Anforderungen, Grundlagen und Systeme über das Aufsetzen strukturierter Prozesse bis hin zu klar nutzerzentriertem Arbeiten und konsequentem Testen. Nur wenn diese Fertigkeiten im Team vorhanden sind, entstehen Lösungen, die am Ende so funktionieren, wie es für das Projekt sinnvoll ist“1Ohne Pilot kein Copilot.
Wer Code prüfen will, muss selber in der Lage sein zu programmieren. “Nimmt man sich zum Beispiel vor, eine mit KI generierte Lösung wirklich gründlich auf Fehler oder Halluzinationen zu überprüfen und dabei den eigenen sogenannten Automation Bias – also das verhaltenspsychologisch nachgewiesene Phänomen, dass Menschen wider besseres Wissen auf Vorschläge und Entscheidungen von Maschinen vertrauen – zu hinterfragen, braucht es ein tiefer gehendes Verständnis für die Funktionsweise von Algorithmen und KI-Systemen”.
So weit, so nachvollziehbar. Nur wird hier ein idealtypisches Bild von der Theorie und Praxis der Informatik gezeichnet, das mit der Realität nur bedingt übereinstimmt.
- Heutige Softwareprojekte sind hochgradig arbeitsteilig, kollaborativ und folgen oft klaren Prozessen und Standards (z.B. Agile, DevOps, CI/CD). Die meisten erfolgreichen Softwareprodukte entstehen im Team, mit klaren Rollen, Aufgabenverteilungen und Qualitätskontrollen.
- Kreativität ist zwar gefragt, aber sie äußert sich meist in kleinen, inkrementellen Verbesserungen und nicht in revolutionären Geistesblitzen.
- Damit Softwareentwicklung skalierbar und effizient bleibt, werden viele Prozesse standardisiert und automatisiert. Build-Prozesse, Tests, Deployments und sogar Teile der Codierung werden zunehmend von Tools oder KI übernommen.
- Trotzdem bleibt ein Rest an menschlicher Arbeit, insbesondere wenn es um das Verstehen von Anforderungen, die Kommunikation mit Stakeholdern und das Lösen nicht-trivialer Probleme geht.
- Die Automatisierung verschiebt den Fokus: Entwicklerinnen und Entwickler werden mehr zu „Orchestratoren“ und „Problemlösern“, weniger zu „Code-Schreibern“.
- In der Praxis ist die kreative Freiheit oft begrenzt. Vorgaben, Standards, Legacy-Systeme und Kundenwünsche setzen enge Rahmenbedingungen.
- Allerdings gibt es auch innerhalb dieser Vorgaben Spielräume für kreative Lösungen – etwa bei der Wahl von Architekturen, Algorithmen oder Optimierungen. In manchen Bereichen (z.B. Forschung, Startups, Open Source) ist die Freiheit größer, aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel.
- In hochspezialisierten oder innovativen Feldern (z.B. Kryptografie, KI-Forschung, neue Plattformen) ist nach wie vor viel Kreativität und individuelles Können gefragt.
- Aber: Die breite Masse der Softwareentwicklung ist heute ein standardisierter, arbeitsteiliger Prozess – vergleichbar mit anderen Ingenieursdisziplinen.
- Die ökonomische, betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise von SW-Projekten ist ein wichtiges Element — nicht alles was programmiert werden kann, ist sinnvoll — egal ob vom Menschen oder durch KI.
Scheiternde Softwareprojekt als Mahnung und Anregung
Die hohe Anzahl gescheiterter und scheiternder SW-Projekte2Kolossale Fehlerquote: 75 % aller IT Projekte scheitern sollte den Protagonisten der Disziplin zu denken geben und zu der Frage veranlassen, ob für den Erfolg und Misserfolg von SW-Projekten in den meisten Fällen Faktoren verantwortlich sind, die mit Informatik nur wenig zu tun haben und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Mögliche Konsequenzen für die Ausbildung:
Erwartungen an die Disziplin realistisch kommunizieren
Es ist wichtig, dass angehende Informatikerinnen wissen:
- Ihr Beitrag ist wichtig, aber nicht allein entscheidend. Projekterfolg hängt von vielen Faktoren ab, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen.
- Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Kommunikation ist oft genauso wichtig wie technisches Können.
- Fehler und Scheitern gehören dazu – und sind oft systemisch bedingt, nicht individueller Unfähigkeit geschuldet.
Informatik als Teil eines größeren Ganzen
- Informatikerinnen sind heute oft „Enabler“ – sie ermöglichen Lösungen, die in einem größeren organisatorischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext stehen.
- Das bedeutet: Interdisziplinäres Denken ist gefragt: Zusammenarbeit mit BWL, Recht, Design, Psychologie etc.
- Verantwortung übernehmen für die Auswirkungen von Technik auf Menschen und Gesellschaft.
Zwischenfazit:
Was bleibt wichtig?
- Verständnis für Prozesse, Systeme und Automatisierung wird immer wichtiger.
- Kommunikations- und Teamfähigkeit sind zentrale Kompetenzen.
- Grundlegende Programmierkenntnisse bleiben relevant, aber die Fähigkeit, komplexe Systeme zu überblicken und zu gestalten, wird wichtiger als das Beherrschen jeder einzelnen Codezeile.
Kurzum:
Die Softwareentwicklung ist auf dem Weg, eine Ingenieursdisziplin wie jede andere zu werden – mit klaren Prozessen, Standards und viel Teamarbeit. Das Bild vom einsamen Genie ist überholt, und die Zukunft gehört denen, die Standardisierung und Automatisierung aktiv mitgestalten.
Damit kommen wir zu der abschließenden Frage, welchen Beitrag die agentenbasierte KI zur Lösung oder Minderung der genannten Problemstellungen beitragen kann.
Potenziale agentenbasierter KI zur Verbesserung von Softwareprojekten
Früherkennung von Problemen durch Simulation
- Agentenbasierte KI kann komplexe Abläufe und Interaktionen zwischen Systemen, Teams oder Nutzern simulieren. Dadurch lassen sich bereits in frühen Projektphasen mögliche Engpässe, Zielkonflikte oder Kommunikationsprobleme erkennen, bevor sie in der Realität auftreten.
- Solche Simulationen ermöglichen es, Szenarien durchzuspielen und gezielt auf Schwachstellen oder Risiken hinzuweisen. Das fördert die Diskussion im Team und hilft, proaktiv Lösungen zu entwickeln.
Automatisierte Vorschläge und Entscheidungsunterstützung
- KI-Agenten analysieren kontinuierlich Projektdaten, Anforderungen und Fortschritte. Sie können auf Basis von Echtzeitdaten Vorschläge zur Optimierung von Abläufen, Ressourceneinsatz oder Architektur machen.
- Durch ihre Fähigkeit, aus Feedback zu lernen und sich anzupassen, verbessern sie im Zeitverlauf die Qualität ihrer Empfehlungen und tragen so zu einer kontinuierlichen Prozessoptimierung bei.
Automatisierte Tests und Evaluierung
- Agentenbasierte KI kann automatisierte Tests nicht nur ausführen, sondern auch eigenständig Testfälle generieren, Testergebnisse analysieren und auf potenzielle Fehlerquellen oder Risiken hinweisen.
- In Multi-Agenten-Architekturen können spezialisierte Agenten verschiedene Aspekte eines Projekts überwachen, testen und evaluieren, was zu einer höheren Testabdeckung und schnelleren Fehlererkennung führt.
Effizienzsteigerung und Skalierbarkeit
- Agentenbasierte KI kann komplexe Workflows autonom steuern und anpassen, wodurch der Bedarf an manuellen Eingriffen sinkt und Projekte effizienter ablaufen.
- Insbesondere in größeren Projekten oder bei sich schnell ändernden Anforderungen ist die Fähigkeit zur schnellen Anpassung und autonomen Problemlösung ein entscheidender Vorteil.
Ausblick
Aus all dem folgt, dass sich das Berufsbild des Softwareentwicklers und der Studiengang Informatik weitaus mehr ändern muss, als Regitz und Krüger anzunehmen scheinen. Diese sagen zwar: “Informatische Grundlagen sind aber auch wichtig, um aktuelle technologische Entwicklungen in der KI kompetent zu begleiten – und eigene, unabhängige Lösungen zu entwickeln: Spannend wird das neben der Nachvollziehbarkeit der Systeme und diverser Sicherheitsfaktoren auch in der Zusammenarbeit von und mit KI-Agenten. Diese können schon jetzt in Unternehmen bestimmte Rollen besetzen und entsprechend dieser auch untereinander kommunizieren und zusammenarbeiten. Ein Beispiel wäre ein Bot, der explizit dafür zuständig ist, Designs gemäß der vorab definierten Corporate Identity zu überprüfen”. Wenn das alles ist, was KI-Agenten beitragen können, dann brauchen wir uns in Deutschland und Europa nicht zu wundern, dass wir auf den wichtigen technologischen Feldern immer weiter abgehängt werden. Ein innovativer Ansatz wie DeepSeek kann auf diesem Boden kaum entstehen. Das klassische deutsche ingenieursmäßige Denken und Arbeiten, zuweilen auch German Overengineering genannt — hat entscheidend dazu beigetragen, dass Leitbranchen wie die Automobilindustrie den Anschluss weitgehend verpasst haben. Der Erfolg ausländischer Hersteller wie Tesla und BYD liegt dagegen zu einem hohen Anteil in der Softwareentwicklung und der Nutzung innovativer Verfahren und Tools … Das gilt auch für die Robotik.
Nicht nur Programmierer werden in Zukunft Orchestratoren, Manager agentenbasierter Systeme sein.
Kleiner Exkurs: Wie schwer sich die deutsche Informatik damit tut, das Potenzial der KI zu erkennen, zeigt die Causa Bibel/Bauer an der TU München in den 1970er und 1980er Jahren. Wolfgang Bibel ist der Ansicht,” dass das Fachgebiet der Künstlichen Intelligenz als Intellektik bezeichnet werden sollte, da Künstliche Intelligenz nur das Ziel sei und sich KI-Forscher mit Intelligenz im Allgemeinen befassen würden. Künstliche Intelligenz ist zwar ein zentraler Begriff, jedoch wurde dieser Begriff die Bezeichnung für ein ganzes Fachgebiet, das sich mit intelligentem Verhalten bzw. intelligenten Systemen befasst. Diese Bezeichnung falle mit ihrer Bezeichnung auch aus den Rahmen, wenn man die Bezeichnung mit Bezeichnungen für andere Fachgebiete vergleicht”.