Von Ralf Keu­per

Als Infor­ma­tion­sex­plo­sion wird die Beobach­tung beze­ich­net, dass die Menge an ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen über­pro­por­tion­al und ras­ant zunimmt. Als ein­er der ersten ver­wen­dete Lars Hei­de den Begriff Infor­ma­tion­sex­plo­sion in sein­er Studie über Lochkarten­sys­teme und die frühe Infor­ma­tion­sex­plo­sion von 1880 bis 1945. Jün­geren Datums ist der Beitrag Die erste Infor­ma­tion­sex­plo­sion. Die Rolle der Lochkar­ten­tech­nik bei der Büro­ra­tional­isierung in Deutsch­land 1910 bis 1939 von Richard Vahrenkamp.

Laut Vahrenkamp war die Ein­führung der Schreib­mas­chine, “die durch die Ver­wen­dung von Kohlepa­pi­er und Wachs­ma­trizen erste Möglichkeit­en zur Ver­flüs­si­gung und Vervielfäl­ti­gung von Tex­ten bot”, Aus­lös­er der ersten Infor­ma­tion­sex­plo­sion, “die Büros mit ein­er Flut von Doku­menten über­rollte”. Vahrenkamp erwäh­nt den Indus­triesozi­olo­gen Theo Pirk­er, der 1962 die These auf­stellte, “dass die For­mal­isierung und Mas­chin­isierung von Infor­ma­tio­nen im Büro deren Ver­mehrung fördert, was zu einem kri­tis­chen Blick auf die Schein­ra­tional­isierung durch Schreib­maschi­nen führte”.

Ein weit­er­er Schub set­zte mit der Ein­führung von Addier­maschi­nen und der Lochkar­ten­tech­nik in der Indus­trie ab 1910 ein. Dadurch waren schnellere und präzis­ere Abrech­nun­gen möglich, was zu Effizien­zsteigerun­gen führte. Dabei sahen die Unternehmen den Nutzen der Lochkar­ten­tech­nik nicht nur in der Reduk­tion von Über­stun­den, son­dern erkan­nten auch deren Poten­zial für die Erstel­lung umfan­gre­ich­er Sta­tis­tiken und Analy­sen. Die Lochkar­ten­tech­nik “ermöglichte eine bre­ite Anwen­dung in ver­schiede­nen Unternehmens­bere­ichen und führte zu ein­er expo­nen­tiellen Zunahme an Infor­ma­tio­nen”. Durch diese »Ver­flüs­si­gung von Infor­ma­tio­nen« war es möglich, Dat­en flex­i­bel zu analysieren und neu auszuw­erten.

In der Wirtschaft erkan­nte man das Ratio­nal­isierungspoten­zial der Lochkar­ten­tech­nik zuerst für die Tages und Monatsab­schlüsse. Deren Erstel­lung verur­sachte viele Über­stun­den und damit auch Kosten. “Die neu ent­stande­nen Konz­erne in den Branchen Stahl, Chemie und Elek­trotech­nik set­zten daher frühzeit­ig seit 1910 die Lochkar­ten­tech­nik ein, um die Arbeitsspitze am Monat­sende durch Mas­chin­isierung abz­u­fan­gen und auch von Rechen­fehlern bere­inigte Abschlüsse zu erhal­ten”. Dabei waren sich die Führungskräfte dur­chaus im Klaren darüber, dass der eigentliche Effekt nicht die Kostenspar­nis war, da die Maschi­nen teuer in der Anschaf­fung waren oder dafür hohe Mieten gezahlt wer­den mussten. “Vielmehr wür­den die Abrech­nun­gen kurzfristig erstellt wer­den kön­nen, und mit den vor­liegen­den Karten kön­nten »weit­ere wün­schenswerte Sta­tis­tiken«  gemacht wer­den”, wie der Leit­er der Konz­ernabrechung der Bay­er AG, Hein­rich Cas­sel, in einem Schreiben an die Farb­w­erke Hoechst vom 16. Feb­ru­ar 1912 betonte.

Ein weit­eres Ein­satzfeld war die Lohnabrech­nung. Auch hier set­zte sich rasch die Erken­nt­nis durch, dass sich aus den jet­zt zur Ver­fü­gung ste­hen­den Dat­en, weit­ere Analy­sen anfer­ti­gen ließen. Damit sich die Investi­tio­nen ren­tierten, mussten die Maschi­nen möglichst voll aus­ge­lastet wer­den. “Gefordert wurde, einen gle­ich­mäßi­gen Strom von Bele­gen in die Lochkarten­abteilung zu senden, um den Maschi­nen Aus­las­tung zu ver­schaf­fen. Die Autoren der Büro­ra­tional­isierung räumten ein, dass die Über­nahme viel­er zusät­zlich­er Auswer­tun­gen durch die Lochkar­ten­tech­nik nicht erfol­gt wäre, wenn diese Tech­nik keine freien Kapaz­itäten geboten hätte”. Wie das in der Prax­is gelang, zeigt die Ausweitung der Auf­gaben in einem Hüt­ten­werk. “Neben den Arbeitsspitzen der Lohnabrech­nung über­nahm die Lochkarten­abteilung die Analyse der Betrieb­skrankenkasse als – wie der Autor for­mulierte – „Fül­lar­beit“ und erweit­erte die Kri­te­rien für die Auswer­tung von zwei auf zehn. Man erkan­nte Poten­ziale der Kostensenkung bei Ärzten und Kranken­häusern und kon­nte den Beitragssatz senken. Die Lochkar­ten­tech­nik erweit­erte ihr Ein­satzfeld von der Finanzwirtschaft und Per­son­al­wirtschaft auf die Mate­ri­al­wirtschaft, den Ver­trieb und son­stige betriebliche Funk­tions­bere­iche”.

Ein Bericht aus dem Jahr 1913 machte am Beispiel der Penn­syl­va­nia Steel-Com­pa­ny auf die vielfälti­gen Analy­sen aufmerk­sam, die dort durch die Ver­wen­dung der Hol­lerith-Maschi­nen erstellt wer­den kon­nten: „Man hat uns oft gefragt, wie die Kosten der Gewin­nung von Infor­ma­tio­nen mit den Tabel­lier­maschi­nen sich im Ver­gle­ich mit früheren Meth­o­d­en stellen. Es ist dies schw­er zu sagen, denn durch die Leichtigkeit, mit welch­er man jet­zt Infor­ma­tio­nen gewin­nen kann, liefern wir eine so unendlich viel größere Analyse als man früher je ver­langt haben würde.“

Bere­its 1909 wählte der Her­steller von Rechen­maschi­nen Brunsvi­ga in ein­er Wer­bekam­pagne für seine Geräte den Slo­gan »Gehirn von Stahl«.

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