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In der Verteilten Künstlichen Intelligenz (VKI) folgt man traditionell dem Ansatz, Ideen aus verschiedenen Disziplinen zu übernehmen, wobei psychologische Forschungsergebnisse eine zentrale Rolle spielen. Viele Konzepte der VKI sind durch psychologische Theorien inspiriert, was zu komplexen Agentenarchitekturen geführt hat. Ein typisches Beispiel sind die BDI-Architekturen (belief, desire, intention), die darauf abzielen, Agenten zu entwickeln, die ihre eigenen Ziele sowie die ihrer Interaktionspartner verstehen und berücksichtigen.
Agentenarchitekturen und Koordination
Die Interaktion zwischen mehreren Agenten wird häufig durch Begriffe wie gemeinsames Ziel, Verhandlung und Verpflichtungen charakterisiert. Koordination ist in diesem Kontext das gegenseitige Anpassen individueller Ziele. Um dies zu erreichen, muss ein Agent Informationen über die Fähigkeiten, Teillösungen und Dringlichkeiten der Wünsche anderer Agenten austauschen. Diese Aufgabe ist äußerst komplex, und das Koordinationsproblem hat sich in viele spezifische Herausforderungen aufgespalten, für die noch keine umfassenden Lösungen gefunden wurden.
Soziologische Theorien und deren Anwendbarkeit
Obwohl die Integration soziologischer Theorien in die VKI bisher vernachlässigt wurde, gibt es Ansätze, die auf mögliche Synergien hinweisen. Ein Grund für das späte Interesse an soziologischen Konzepten ist, dass die Soziologie als Disziplin oft komplexer und weniger formalisiert ist als die Psychologie oder Neurowissenschaften. Diese Komplexität stellt eine Hürde dar, da eine umfassende Modellierung und Algorithmisierung erforderlich ist, um soziologische Theorien für Informatiker nützlich zu machen. Die Zusammenführung von Soziologen und Informatikern zur Sozionik hat jedoch begonnen, das Potenzial soziologischer Theorien für die VKI zu erschließen.
Das Problem der doppelten Kontingenz
Das Konzept der doppelten Kontingenz, wie von Luhmann beschrieben, besagt, dass zwei Akteure nicht direkt auf die Entscheidungsgrundlagen des anderen zugreifen können, was sie zu „Blackboxes“ macht. Trotz dieser Unsicherheit ist es möglich, dass menschliche Akteure in bestimmten Situationen effektiv kooperieren. Luhmann argumentiert, dass die Entstehung der doppelten Kontingenz einen Prozess initiiert, der ihre Auflösung ermöglicht und somit soziale Systeme schafft.
Die Unsicherheit, die die Kontingenz darstellt, führt zu Erwartungsstrukturen, die den Akteuren helfen, sich zu orientieren und ihre Entscheidungen zu treffen. Diese Strukturen können als Grundlage für das koordiniertes Verhalten von Akteuren betrachtet werden. Die drei Aspekte der Systemtheorie von Luhmann – doppelte Kontingenz, Erwartungsstrukturen und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien – sind entscheidend für die Anwendung soziologischer Theorien in der VKI.
Interaktionen zwischen Agenten
In einer hypothetischen Situation, in der zwei Agenten durch eine Tür gehen wollen, sehen sie sich der Herausforderung der doppelten Kontingenz gegenüber. In der VKI wird oft versucht, diese Problematik zu umgehen, indem man Vorhersagbarkeit anstrebt. Ansätze zur Lösung dieses Problems umfassen die Einführung eines dritten Agenten, der Entscheidungen trifft, oder die Nutzung von Verhandlungen, bei denen Agenten einander Angebote machen, um Priorität zu erlangen.
Ein weiterer Ansatz ist die Einführung von Normen oder sozialen Gesetzen, die das Verhalten der Agenten regeln. Diese Normen müssen jedoch sorgfältig formuliert werden, da sie Fragen nach der Herkunft, Änderbarkeit und Sanktionierung aufwerfen, die in bisherigen Ansätzen oft unzureichend behandelt werden.
Bedeutung von Erwartungen
Luhmanns Theorie legt nahe, dass Agenten in erster Linie Erwartungen über das Verhalten anderer Agenten haben. Diese Erwartungen sind zentral für die sozialen Strukturen und beeinflussen, wie Agenten Entscheidungen treffen. Wenn Agenten beispielsweise erwarten, dass der andere zuerst geht, werden sie entsprechend handeln. Die Herausforderung besteht darin, wie diese Erwartungen entstehen und was passiert, wenn sie falsch sind.
In der Systemtheorie spielen Erwartungsstrukturen eine entscheidende Rolle. Sie reduzieren die externe Komplexität und bieten einen Rahmen, innerhalb dessen Agenten interagieren können. Entscheidungen in sozialen Kontexten beruhen oft nicht auf vollständigem Wissen, sondern auf den Erwartungen, die Agenten über die Handlungen anderer haben.
Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien
Ein interessanter Aspekt ist die Implementierung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien in Multi-Agenten-Systemen (MAS). Diese Medien können als Kanäle dienen, die es Agenten ermöglichen, komplexe Absichten zu kommunizieren, ohne vollständige Informationen über einander zu haben. Diese Struktur kann helfen, Koordinationsprobleme zu lösen, indem Agenten in einem gemeinsamen Erwartungsraum operieren.
Das Medium Geld wird als Beispiel für ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium betrachtet, das den Austausch und die Koordination von Ressourcen ermöglicht. Agenten können durch Verhandlungen Werte aushandeln, was die Komplexität der Interaktionen verringert.
Offene Fragen und Herausforderungen
Trotz der vielversprechenden Ansätze bleibt die Implementierung dieser soziologischen Theorien in der VKI mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Dazu gehören die Verankerung von Kommunikationsmedien in Agenten, die Repräsentation von Erwartungsstrukturen und die Formalisierbarkeit der theoretischen Konzepte. Der Mangel an pragmatischen Ansätzen in der Informatik erschwert die Integration dieser komplexen sozialen Theorien in die KI-Entwicklung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ernsthafte Berücksichtigung von Erwartungsstrukturen und der doppelten Kontingenz in Multi-Agenten-Systemen neue Perspektiven eröffnet. Diese Ansätze könnten dazu beitragen, die Interaktion zwischen künstlichen und menschlichen Agenten zu verbessern und die Komplexität der Entscheidungsfindung in sozialen Kontexten zu reduzieren.
Quelle: Luhmanns Systemtheorie aus Sicht der Verteilten Künstlichen Intelligenz