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Ping Iden­ti­ty will KI-Agen­ten mit dig­i­tal­en Iden­titäten ausstat­ten. Was nach tech­nis­ch­er Rou­tine klingt, markiert einen epochalen Wan­del: Erst­mals wer­den Maschi­nen zu Rechtssub­jek­ten mit Zugang­spriv­i­legien, Hand­lungsvoll­macht­en und Ver­ant­wor­tungszuschrei­bun­gen. Die Iden­tität – jahrhun­derte­lang Kernbe­stand des Men­sch­seins – wird zur uni­versellen Infra­struk­tur ein­er Wirtschaft, in der Algo­rith­men Verträge schließen und Entschei­dun­gen tre­f­fen.


Die Nachricht kommt unprä­ten­tiös daher: Ping Iden­ti­ty, Spezial­ist für Iden­titäts­man­age­ment, bringt Anfang 2026 eine Lösung namens „Iden­ti­ty for AI” auf den Markt. Das Pro­dukt soll Unternehmen helfen, ihre wach­sende Flotte autonomer KI-Agen­ten zu kon­trol­lieren – jene Soft­ware, die eigen­ständig E‑Mails beant­wortet, Bestel­lun­gen aus­löst oder Kun­denser­vice leis­tet. Was zunächst nach tech­nis­chem Kleinkram klingt, ist in Wahrheit die Insti­tu­tion­al­isierung ein­er Rev­o­lu­tion: Maschi­nen wer­den zu Akteuren mit eige­nen Iden­titäten.

„Iden­tität wird zur uni­versellen Ver­trauenss­chicht – für Men­schen und Agen­ten gle­icher­maßen”, erk­lärt Andre Durand, Grün­der und CEO von Ping Iden­ti­ty. Der Satz klingt wie Mar­ket­ing­prosa, enthält aber eine bemerkenswerte Gle­ich­set­zung. Was über Jahrhun­derte das Priv­i­leg bewusster Wesen war – eine Iden­tität zu besitzen, im eige­nen Namen zu han­deln, Ver­ant­wor­tung zu tra­gen – wird nun auf Algo­rith­men aus­geweit­et. Die Mas­chine erhält einen dig­i­tal­en Pass.

Die stille Machtver­lagerung

Hin­ter dieser tech­nis­chen Inno­va­tion ver­birgt sich eine fun­da­men­tale Ver­schiebung wirtschaftlich­er Macht. Wie Patrick Hard­ing, Chief Prod­uct Archi­tect bei Ping Iden­ti­ty, in einem Beitrag auf Bio­met­ric Update1Ping Iden­ti­ty gets in on agen­tic AI with launch of Iden­ti­ty for AI tool zitiert wird, pilotieren bere­its 65 Prozent aller Organ­i­sa­tio­nen Pro­gramme mit KI-Agen­ten. „Entschei­dun­gen, die einst durch Wer­bekam­pag­nen, Loy­al­ität­spro­gramme oder kuratierte Web­sites geprägt wur­den, wer­den zunehmend von Maschi­nen getrof­fen, die struk­turi­erte Dat­en inter­pretieren”, schreibt Hard­ing.

Diese For­mulierung ver­di­ent Aufmerk­samkeit. Sie beschreibt nicht weniger als das Ende der men­schlichen Kund­schaft als primärem Zielpunkt unternehmerisch­er Kom­mu­nika­tion. Wenn KI-Agen­ten im Auf­trag von Kon­sumenten Kaufentschei­dun­gen tre­f­fen, ver­lieren emo­tionale Markenin­sze­nierun­gen, aufwändi­ges Design und psy­chol­o­gis­che Überzeu­gungskun­st ihre Wirkung. Rel­e­vant wird nur noch, was in maschi­nen­les­baren For­mat­en vor­liegt: Pro­duk­t­dat­en, Preise, Ver­füg­barkeit­en, Bew­er­tun­gen – die struk­turi­erte Sprache der Algo­rith­men.

Die Wer­bein­dus­trie, jahrzehn­te­lang darauf spezial­isiert, men­schliche Aufmerk­samkeit zu erobern und Begehrlichkeit­en zu weck­en, ste­ht vor der Entwer­tung ihres gesamten Handw­erks. Wenn Maschi­nen entschei­den, zählt nicht das Image, son­dern die Daten­qual­ität.

Iden­tität als Kon­trol­linfra­struk­tur

Pings Lösung ver­spricht Unternehmen „Leit­planken für ver­ant­wor­tungsvolle Inno­va­tion” durch „Enter­prise-Grade Iden­ti­ty Man­age­ment”. Tech­nisch bedeutet das: Eine zen­trale Kon­trollplat­tform überwacht den gesamten Leben­szyk­lus der Agen­ten, authen­tifiziert ihre Inter­ak­tio­nen, set­zt Zugriff­s­rechte durch, injiziert tem­poräre Zugangs­dat­en nach dem Least-Priv­i­lege-Prinzip und pro­tokol­liert verdächtige Aktiv­itäten.

Die Begrif­flichkeit ist ent­lar­vend. Es geht um „Life­cy­cle-Man­age­ment”, „Gov­er­nance”, „Priv­i­leged Access” – genau jene Vok­a­beln, mit denen Unternehmen bis­lang ihre men­schlichen Mitar­beit­er ver­wal­teten. KI-Agen­ten wer­den per­son­al­isiert, damit sie kon­trol­lier­bar bleiben. Sie erhal­ten Iden­titäten, Berech­ti­gun­gen, Ver­ant­wor­tungs­bere­iche. Sie wer­den Teil der Organ­i­sa­tion­sstruk­tur.

Damit etabliert sich eine neue Form der Arbeit­steilung: Men­schen definieren Regeln und Ziele, Maschi­nen führen aus – besitzen dabei aber Hand­lungsspiel­räume, die echte Del­e­ga­tion erfordern. Der Agent ist wed­er reines Werkzeug noch autonomes Sub­jekt, son­dern etwas Drittes: ein delegiert­er Akteur mit begren­zter Sou­veränität.

Das Prob­lem der Zurech­nung

Hard­ings Beobach­tung, dass „manche Agen­ten echte Men­schen repräsen­tieren, während andere autonom mit eige­nen Cre­den­tials agieren”, trifft den neu­ral­gis­chen Punkt. Die Unter­schei­dung zwis­chen men­schlich­er Inten­tion und maschi­nengetrieben­em Han­deln ver­schwimmt – mit erhe­blichen Kon­se­quen­zen für Sicher­heit und Ver­ant­wortlichkeit.

Wer haftet, wenn ein Agent eine fehler­hafte Bestel­lung aus­löst? Wer trägt Ver­ant­wor­tung für diskri­m­inierende Entschei­dun­gen, die ein Algo­rith­mus auf Basis verz­er­rter Train­ings­dat­en trifft? Die klas­sis­che Antwort – der Betreiber haftet für sein Werkzeug – greift bei autonomen Sys­te­men nicht mehr. Ping Iden­ti­tys Lösung ist der Ver­such, diese Zuschrei­bungskrise tech­nisch zu bewälti­gen: durch lück­en­lose Pro­tokol­lierung, gran­u­lare Berech­ti­gun­gen und ein­deutige Iden­tität­szuord­nung.

Doch die eigentliche Her­aus­forderung liegt tiefer. Die Iden­titätsver­gabe an Maschi­nen ist nicht nur ein tech­nis­ches Instru­ment zur Risiko­min­imierung, son­dern ein juris­tis­ches und philosophis­ches Exper­i­ment. Sie schafft eine neue Kat­e­gorie von Qua­si-Sub­jek­ten, die han­deln, aber nicht im eigentlichen Sinne ver­ant­wortlich sein kön­nen – und zwingt Gesellschaften zu klären, wie sie mit dieser hybri­den Akteurschaft umge­hen wollen.

Aus­blick: Die Ver­wal­tung des Autonomen

Ping Iden­ti­ty plant, die Funk­tion­al­ität von „Iden­ti­ty for AI” schrit­tweise auszubauen: Agent Vis­i­bil­i­ty, Gov­er­nance, Priv­i­leged-Access-Man­age­ment, Threat Pro­tec­tion. Was das Unternehmen als Pro­duk­troadmap präsen­tiert, liest sich wie die Blau­pause ein­er Kon­trol­lar­chitek­tur für die posthu­mane Ökonomie.

Die Ironie ist augen­fäl­lig: Aus­gerech­net die Iden­tität, jahrhun­derte­lang Inbe­griff indi­vidu­eller Einzi­gar­tigkeit und Würde, wird zum bürokratis­chen Ver­wal­tungsin­stru­ment für Algo­rith­men. Was Men­schen von Maschi­nen unter­schied – das Bewusst­sein, Inten­tion­al­ität, moralis­che Urteils­fähigkeit – spielt keine Rolle mehr. Rel­e­vant ist nur noch die Zuor­den­barkeit von Hand­lun­gen zu Ver­ant­wor­tungsträgern, gle­ichgültig ob Men­sch oder Mas­chine.

Die tech­nis­che Lösung von Ping Iden­ti­ty mag funk­tion­ieren. Die Frage, was es bedeutet, wenn Iden­tität zur uni­versellen Infra­struk­tur wird – für Men­schen wie für deren dig­i­tale Stel­lvertreter –, bleibt unbeant­wortet. Vielle­icht ist sie auch unbeant­wort­bar. Jeden­falls nicht von Maschi­nen.

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