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Der deutsche KI-Hoff­nungsträger Aleph Alpha erlebt im Okto­ber 2025 einen drama­tis­chen Umbruch: Grün­der Jonas Andrulis muss die oper­a­tive Führung abgeben, Man­ag­er aus der Schwarz-Gruppe übernehmen das Rud­er. Doch kann aus­gerech­net das „Dis­counter-Mind­set” eines Konz­erns, der für Kos­tendiszi­plin und Hier­ar­chie ste­ht, die hochkom­plexe Welt der Kün­stlichen Intel­li­genz erobern? Ein Beitrag über gescheit­erte Ambi­tio­nen, kul­turelle Dis­so­nanzen und die europäis­chen Gren­zen im glob­alen KI-Wet­t­lauf.


Es sollte Deutsch­lands Antwort auf Ope­nAI wer­den, ein leuch­t­en­des Sym­bol europäis­ch­er Tech­nolo­giesou­veränität im Zeital­ter der Kün­stlichen Intel­li­genz. Aleph Alpha, gegrün­det mit dem Anspruch, Europa eine unab­hängige Alter­na­tive zu den amerikanis­chen Tech-Gigan­ten zu bieten, ver­sprach mehr als nur Algo­rith­men und Rechen­leis­tung. Es ver­sprach Autonomie, Daten­schutz nach europäis­chen Maßstäben und die Vision, dass Inno­va­tion nicht zwin­gend aus dem Sil­i­con Val­ley kom­men muss.

Im Okto­ber 2025 ist von dieser Vision nur noch ein Schat­ten übrig. Jonas Andrulis, das Gesicht und die treibende Kraft hin­ter Aleph Alpha, ver­lässt mit sofor­tiger Wirkung die Geschäfts­führung. Er wird nicht etwa befördert oder geht in einen ver­di­en­ten Ruh­e­s­tand – er wird, so liest man es zwis­chen den Zeilen der Pressemit­teilun­gen, an den Rand gedrängt.

An seine Stelle treten Reto Spör­ri und Ilhan Scheer, Man­ag­er mit enger Verbindung zur Schwarz-Gruppe, jen­em Han­del­sim­peri­um, das Deutsch­land Lidl und Kau­fland beschert hat. Ab Jan­u­ar 2026 sollen sie das Unternehmen in eine neue Zukun­ft führen.

Wenn der Dis­counter die Zukun­ft übern­immt

Die Ironie kön­nte kaum größer sein. Ein Unternehmen, das ange­treten war, die kom­plex­esten Her­aus­forderun­gen der mod­er­nen Tech­nolo­gie zu lösen, wird nun von Man­agern geleit­et, die ihre Kar­riere in ein­er Welt gemacht haben, in der es um Cent-Beträge, Lager­drehun­gen und Fil­ial­ef­fizienz geht. Die Schwarz-Gruppe ist zweifel­los ein Erfol­gsmod­ell – aber ein Erfol­gsmod­ell, das auf kom­pro­miss­los­er Kostenkon­trolle, strik­ten Hier­ar­chien und ein­er Kul­tur basiert, die wenig Raum für Exper­i­mente lässt.

Kann das funk­tion­ieren? Kann eine Organ­i­sa­tion, deren DNA auf Dis­count und Effizienz pro­gram­miert ist, plöt­zlich die kreative Unord­nung, die Risikobere­itschaft und die Fehlerkul­tur entwick­eln, die für Inno­va­tion in der KI-Branche unverzicht­bar sind? Die Zweifel sind berechtigt. Denn während im Sil­i­con Val­ley das Scheit­ern als Lern­chance zele­bri­ert wird, gilt in der Schwarz-Welt das eherne Gesetz der Prof­itabil­ität. Während Start-ups in San Fran­cis­co mit Risikokap­i­tal jonglieren und Jahre ohne Gewinn über­leben, tick­en in Neckar­sulm die Uhren der Quar­tal­szahlen.

Die Schwarz-Gruppe hat in den ver­gan­genen Jahren ver­sucht, sich zu diver­si­fizieren: Cloud-Dien­ste, Recy­cling, Logis­tik, nun also auch Kün­stliche Intel­li­genz. Doch Diver­si­fizierung bedeutet nicht automa­tisch Trans­for­ma­tion. Wer mit der Men­tal­ität eines Lebens­mit­teld­is­coun­ters an High­tech-Pro­jek­te herange­ht, riskiert, die Kom­plex­ität der Materie zu unter­schätzen. KI ist keine Ware, die man ein­fach gün­stiger anbi­eten kann als die Konkur­renz. Es ist ein Ökosys­tem aus Tal­en­ten, Forschung, Rechenka­paz­ität und vor allem: Kul­tur.

Die ent­täuschte Vision

Aleph Alpha hat­te einst große Pläne. Das Unternehmen wollte eigene Large Lan­guage Mod­els entwick­eln, die mit GPT‑4 oder Claude konkur­ri­eren kön­nten – nur eben europäisch, daten­schutzkon­form, sou­verän. 2023 und 2024 flossen rund 500 Mil­lio­nen US-Dol­lar in die Kassen, finanziert von einem Kon­sor­tium aus SAP, Bosch, Bur­da, HPE und natür­lich der Schwarz-Gruppe. Eine beein­druck­ende Summe auf dem Papi­er.

Doch bei genauer­er Betra­ch­tung rel­a­tiviert sich der Tri­umph: Nur etwa 110 Mil­lio­nen Euro wur­den tat­säch­lich als Eigenkap­i­tal investiert. Der Rest? Zweck­ge­bun­dene Forschungs­gelder und Auf­tragszusagen. Mit anderen Worten: Das Geld war bere­its ver­plant, bevor es über­haupt ankam. Aleph Alpha hat­te nicht die finanzielle Frei­heit, die Ope­nAI oder Anthrop­ic genießen – jene Frei­heit, die es erlaubt, auch mal in Sack­gassen zu forschen, zu exper­i­men­tieren, zu scheit­ern.

Und so vol­l­zog das Unternehmen einen strate­gis­chen Schwenk: Weg von der Vision der großen Foun­da­tion Mod­els, hin zu Spezialan­wen­dun­gen für Indus­trie, Ver­wal­tung und Finanzwirtschaft. Nis­chen­lö­sun­gen statt Wel­trev­o­lu­tion. Ein prag­ma­tis­ch­er Rück­zug, getarnt als strate­gis­che Neuaus­rich­tung.

Kul­turelle Dis­so­nanzen

Wer bei Aleph Alpha arbeit­et oder gear­beit­et hat, spürt längst die Span­nun­gen. Auf der einen Seite ste­hen Entwick­ler und Forsch­er, die mit der Neugi­er und dem Ide­al­is­mus in das Pro­jekt gekom­men sind, die Europa eine tech­nol­o­gis­che Zukun­ft geben woll­ten. Auf der anderen Seite ste­hen nun Man­ag­er, die aus ein­er Welt kom­men, in der Kon­trolle wichtiger ist als Kreativ­ität, in der Hier­ar­chie über Exper­i­ment ste­ht.

Dabei gäbe es dur­chaus Vor­bilder, wie ein Han­del­skonz­ern den Sprung in die Tech­nolo­giewelt schaf­fen kann. Wal­mart, eben­falls aus dem Dis­count-Geschäft stam­mend, zeigt seit Jahren, dass es möglich ist – wenn man bere­it ist, die eigene DNA zu hin­ter­fra­gen. Der US-Riese hat eine eigene Tech-Ein­heit namens “Wal­mart Glob­al Tech” aufge­baut, die seit etwa 40 Jahren existiert und inno­v­a­tive Lösun­gen mit Data Sci­ence, mod­er­nen Retail-Tech­nolo­gien und Engi­neer­ing-Exzel­lenz entwick­elt. Keine Neben­abteilung, son­dern ein eigen­ständi­ger Tech-Konz­ern inner­halb des Unternehmens.

Wal­mart hat 2025 KI-gestützte Tools für 1,5 Mil­lio­nen Mitar­beit­er einge­führt, darunter Echtzeit-Über­set­zun­gen in 44 Sprachen für Gespräche zwis­chen Mitar­beit­ern und Kun­den. Das Unternehmen entwick­elte eine AR-Plat­tform namens “Reti­na”, die KI, GenAI und Automa­tisierung nutzt, um Zehn­tausende von 3D-Assets zu erstellen. Der Unter­schied zu Schwarz? Wal­mart hat ver­standen, dass man Tech­nolo­gie nicht mit Dis­count-Men­tal­ität führen kann. Sie haben eine sep­a­rate Tech-Organ­i­sa­tion mit eigen­er Kul­tur geschaf­fen, mas­siv in dig­i­tale Trans­for­ma­tion investiert und Tal­ente aus der Tech-Branche ange­zo­gen, statt nur intern zu befördern.

Wal­mart arbeit­et bei KI-Pro­jek­ten eng mit Microsoft zusam­men und kom­biniert dabei eigene pro­pri­etäre Dat­en mit Large Lan­guage Mod­els – ein hybrid­er Ansatz aus Eige­nen­twick­lung und extern­er Exper­tise. Die Schwarz-Gruppe hinge­gen ver­sucht, Tech-Pro­jek­te wie Aleph Alpha mit der gle­ichen Men­tal­ität zu führen, mit der sie Fil­ialen betreibt. Wal­mart hat den kul­turellen Split zwis­chen “Dis­count-Retail” und “Tech-Inno­va­tion” vol­l­zo­gen – genau das, was in Neckar­sulm fehlt1wobei man ein­räu­men muss, dass Wal Mart nicht ver­sucht, in Konkur­renz zu Ope­nAI und anderen zu treten, son­dern sich auf die Rolle als Anwen­der beschränkt. .

Die Schwarz-Gruppe gilt nicht umson­st als wenig beliebter Arbeit­ge­ber unter hochqual­i­fizierten Fachkräften. Starre Arbeitsmod­elle, begren­zte Gestal­tungsspiel­räume, eine Kul­tur der Effizienz statt der Inno­va­tion – das sind keine Voraus­set­zun­gen, um die klüg­sten Köpfe der KI-Szene anzuziehen oder zu hal­ten. Und ohne diese Köpfe ist jede tech­nol­o­gis­che Ambi­tion zum Scheit­ern verurteilt.

Das Wal­mart-Beispiel zeigt: Es geht nicht darum, ob ein Han­del­skonz­ern Inno­va­tion kann. Es geht darum, ob er bere­it ist, dafür eine andere Kul­tur zuzu­lassen. Die Schwarz-Gruppe hat diese Bere­itschaft bish­er nicht gezeigt.

Branchenken­ner sprechen offen von wach­sender Unzufrieden­heit, von Druck durch Großin­ve­storen, von einem Kli­ma, das mehr an Sanierung als an Vision erin­nert. Jonas Andrulis’ Abgang ist das sicht­barste Symp­tom dieser Entwick­lung, aber längst nicht das einzige.

Europas struk­turelles Dilem­ma

Aleph Alpha ist mehr als nur die Geschichte eines gescheit­erten Unternehmens. Es ist ein Lehrstück über die struk­turellen Schwächen Europas im glob­alen Tech­nolo­giewet­t­lauf. Während in den USA pri­vate Inve­storen Mil­liar­den in riskante Pro­jek­te pumpen, ohne sofor­tige Ren­dite zu erwarten, dominieren in Europa Indus­triepart­ner, die an kurzfristige Ver­w­ert­barkeit denken. Während Chi­na staatlich ges­teuerte KI-Pro­gramme mit strate­gis­ch­er Geduld vorantreibt, stolpert Europa zwis­chen nationalem Eigen­in­ter­esse und über­reg­uliert­er Vor­sicht.

Die Vision ein­er sou­verä­nen europäis­chen KI war von Anfang an mit einem Wider­spruch behaftet: Sie ver­langte nach glob­aler Wet­tbe­werb­s­fähigkeit, aber unter Bedin­gun­gen, die Wet­tbe­werb erschw­eren. Daten­schutz ist richtig und wichtig – aber er macht die Entwick­lung langsamer und teur­er. Reg­ulierung ist notwendig – aber sie bindet Ressourcen, die ander­swo in Forschung fließen. Europa will die ethis­che KI bauen, aber die Welt kauft die schnell­ste.

Ein Aus­blick ohne Glanz

Im Som­mer 2026 sollen die neuen Man­ag­er dem Beirat erste Resul­tate ihrer Neuaus­rich­tung präsen­tieren. Bis dahin wird Aleph Alpha ver­suchen, mit spez­i­fis­chen Anwen­dun­gen für europäis­che Indus­trie- und Staatskun­den zu punk­ten. Vielle­icht wird es gelin­gen, eine prof­itable Nis­che zu find­en. Vielle­icht wer­den Behör­den und Konz­erne die daten­schutzkon­forme Alter­na­tive schätzen. Vielle­icht.

Doch die große Vision ist Geschichte. Aleph Alpha wird nicht die europäis­che Antwort auf Ope­nAI sein. Es wird besten­falls ein spezial­isiert­er Anbi­eter in einem Markt, der längst von anderen dominiert wird. Und die Schwarz-Gruppe wird mit­tel­fristig wohl über­legen, ob eine voll­ständi­ge Über­nahme nicht strate­gisch sin­nvoller wäre als ein Invest­ment mit begren­ztem Ein­fluss.

Was bleibt, ist eine bit­tere Erken­nt­nis: Mit Krämer-Gesin­nung lässt sich kein tech­nol­o­gis­ch­er Durch­bruch erzwin­gen. Mit Dis­counter-Denken baut man keine Zukun­ft. Wal­mart hat bewiesen, dass der Sprung möglich ist – aber nur, wenn man bere­it ist, für Inno­va­tion eine völ­lig andere Spiel­wiese zu schaf­fen. Die Schwarz-Gruppe will bei­des mit densel­ben Regeln spie­len, und genau daran scheit­ert sie.

Aleph Alpha wollte Europas Hoff­nung sein. Es wird zur Mah­nung: dass Ambi­tion allein nicht reicht, dass Geld nicht genug ist, und dass Kul­tur am Ende über Erfolg und Scheit­ern entschei­det. Die Frage ist nicht, ob Man­ag­er aus der Schwarz-Gruppe den Turn­around schaf­fen kön­nen. Die Frage ist, ob sie über­haupt ver­ste­hen, worum es geht.

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