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Beruf­se­in­steiger ste­hen vor ver­schlosse­nen Türen: Kün­stliche Intel­li­genz frisst die Jobs weg, die einst den Grund­stein für erfol­gre­iche Kar­ri­eren legten. Die Zahlen sind alarmierend – und die Frage drän­gend: Wie lernt man einen Beruf, den es nicht mehr gibt?


Es gibt einen Moment im Leben junger Men­schen, in dem sich die The­o­rie in Prax­is ver­wan­deln soll. Nach Jahren des Studi­ums, der Aus­bil­dung, des Ler­nens ste­ht man vor der Schwelle zur Arbeitswelt und erwartet, dass sich eine Tür öffnet. Doch was, wenn diese Tür sich ger­ade schließt – leise, aber unaufhalt­sam?

Die Step­stone-Analyse aus dem ersten Quar­tal 2025 liest sich wie ein Vor­bote tek­tonis­ch­er Ver­schiebun­gen: 45 Prozent weniger Ein­stiegsjobs als im Fün­f­jahres­durch­schnitt. Das ist keine sta­tis­tis­che Delle, kein kon­junk­tureller Aus­rutsch­er. Das ist eine Zäsur. In Ver­trieb, Per­son­al­we­sen und Ver­wal­tung – tra­di­tionelle Ein­stiegs­bere­iche für Akademik­er – brechen die Zahlen regel­recht ein1Jet­zt trifft der KI-Boom Beruf­san­fänger mit voller Wucht.

Minus 56 Prozent hier, minus 50 Prozent dort. Die Posi­tio­nen ver­schwinden nicht, weil Unternehmen schrumpfen. Sie ver­schwinden, weil sie über­flüs­sig wer­den.

Kün­stliche Intel­li­genz macht das, was Maschi­nen immer gemacht haben: Sie erset­zt repet­i­tive Arbeit. Nur dass es dies­mal nicht die Fließban­dar­beit­er trifft, son­dern die Bürokräfte, die Assis­ten­ten, die Junior-Ana­lysten. Jene, die Dat­en zusam­men­tra­gen, Reports erstellen, erste Kun­de­nan­fra­gen bear­beit­en. Tätigkeit­en, die einst als unverzicht­bare Lehr­jahre gal­ten – als das Fun­da­ment, auf dem man Exper­tise auf­baute. Chat­G­PT, Claude und ihre Geschwis­ter erledi­gen diese Auf­gaben heute schneller, bil­liger, fehler­freier.

Doch hier liegt das eigentliche Dilem­ma, das über indi­vidu­elle Kar­ri­ere­sor­gen hin­aus­ge­ht: Wie soll die näch­ste Gen­er­a­tion Führungskräfte entste­hen, wenn die Sprosse, auf der man einst begann, fehlt? Kar­ri­eren waren nie Aufzüge, son­dern Leit­ern. Man klet­terte Stufe für Stufe, sam­melte Erfahrung, ver­stand die Mech­a­nis­men eines Unternehmens von unten nach oben. Was geschieht mit dieser Logik, wenn KI den Ein­stieg über­springt?

Der Inter­na­tionale Währungs­fonds schätzt nüchtern, dass KI 40 Prozent aller Arbeit­splätze weltweit bee­in­flussen wird – in entwick­el­ten Volk­swirtschaften wie Deutsch­land bis zu 60 Prozent. Diese Zahlen sind so abstrakt wie ein­schüchternd. Doch ihre konkrete Bedeu­tung zeigt sich in den Lebensläufen junger Men­schen, die plöt­zlich fest­stellen, dass ihre Qual­i­fika­tio­nen ins Leere laufen. Der IT-Bere­ich, einst Hoff­nungsträger für sicheren Jobe­in­stieg, verze­ich­net 40.000 weniger Junior-Stellen als noch vor zwei Jahren. Selb­st in der Beratung, wo men­schliche Exper­tise als uner­set­zlich galt, ratio­nal­isiert KI die unteren Ränge weg.

Es gibt schein­bare Aus­nah­men – und sie sind trügerisch: Bil­dung wächst um 96 Prozent, das Handw­erk um 52 Prozent. Man kön­nte erle­ichtert aufat­men: Dort, wo der Men­sch im direk­ten Kon­takt ste­ht, wo physis­che Präsenz zählt, bleibt die Arbeit. Doch das ist eine Momen­tauf­nahme, kein Schutzschild. Das Handw­erk boomt nicht, weil es zukun­ftssich­er ist, son­dern weil der Fachkräfte­man­gel akut ist und die Automa­tisierung hier zeitverzögert ankommt. Doch sie kommt. Robot­er, die Mauer­w­erk set­zen, Algo­rith­men, die Schalt­pläne opti­mieren, KI-gestützte Diag­nosesys­teme in der Kfz-Werk­statt – die Trans­for­ma­tion hat längst begonnen. Der ver­meintlich sichere Hafen ist nur eine Zwis­chen­sta­tion.

Das ent­larvt die gefährliche Illu­sion, es gäbe eine sim­ple Aufteilung: Hier die gefährde­ten Büro­jobs, dort die sicheren Handw­erks­berufe. Die Wahrheit ist radikaler: Kein Bere­ich bleibt ver­schont. Die Automa­tisierungswelle rollt in Schüben durch alle Sek­toren, nur mit unter­schiedlich­er Geschwindigkeit. Was heute noch Wach­s­tum zeigt, kann mor­gen der näch­ste Domi­nos­tein sein.

Dario Amod­ei, CEO von Anthrop­ic, prog­nos­tiziert, dass KI in fünf Jahren die Hälfte aller Büro-Ein­stiegsjobs ver­drän­gen kön­nte. Das World Eco­nom­ic Forum kon­tert opti­mistis­ch­er: Bis 2030 kön­nte es einen Net­tozuwachs an Arbeit­splätzen geben. Bei­de haben ver­mut­lich recht – und bei­de ver­schleiern die eigentliche Wahrheit: Es geht nicht darum, ob Jobs entste­hen oder ver­schwinden, son­dern darum, welche Jobs für wen existieren wer­den.

Die Frage lautet nicht mehr: Kann ich einen Job find­en? Son­dern: Wie bleibe ich rel­e­vant in ein­er Welt, die meine Ein­stiegs­fähigkeit­en nicht mehr braucht? Wie erwerbe ich Erfahrung, wenn die Stellen, an denen man sie sam­melt, automa­tisiert wur­den? Wie navigiert eine Gen­er­a­tion durch einen Arbeits­markt, der seine Ein­stieg­store ver­siegelt – in allen Bere­ichen?

Es ist eine bit­tere Ironie: Jene, die mit dig­i­taler Tech­nolo­gie aufgewach­sen sind, die als „Dig­i­tal Natives” gefeiert wur­den, find­en sich nun in einem Arbeits­markt wieder, in dem genau diese Affinität zu Tech­nolo­gie keinen Vorteil mehr bringt – weil die Tech­nolo­gie selb­st zum Konkur­renten gewor­den ist.

Und hier offen­bart sich die vielle­icht zynis­chste Dimen­sion dieser Krise: Die gängi­gen Lösungsvorschläge – mehr Fokus auf kom­plexe Prob­lem­lö­sung, kri­tis­ches Denken, kreative Höch­stleis­tung – sind selb­st elitär. Sie set­zen kog­ni­tive Fähigkeit­en voraus, die nicht jed­er mit­bringt oder entwick­eln kann. Nicht jed­er junge Men­sch wird zum Strate­gen, zum Inno­va­tor, zum hochspezial­isierten Experten. Die Mehrheit brauchte immer die soli­den Mit­telfeld-Jobs: ver­lässlich, erlern­bar, sinns­tif­tend. Genau diese Jobs ver­schwinden zuerst.

Was bleibt für jene, die wed­er zu den kog­ni­tiv­en Spitzen­per­formern gehören noch in den schrumpfend­en Handw­erks­berufen unterkom­men? Die Antwort ist unbe­quem: Wir haben keine. Wir reden über „Umschu­lung” und „lebenslanges Ler­nen”, als wäre das eine Lösung statt eine Zumu­tung. Als kön­nte jed­er sich per­ma­nent neu erfind­en, immer einen Schritt schneller als die Algo­rith­men. Das ist keine Arbeits­mark­t­poli­tik, das ist sozial­dar­win­is­tis­che Fik­tion.

Die unter­ste Sprosse der Kar­ri­ereleit­er wird ger­ade ent­fer­nt – über­all. Doch während wir darüber disku­tieren, wie die Besten und Klüg­sten nach oben klet­tern kön­nen, ignori­eren wir die fun­da­men­talere Frage: Was geschieht mit allen anderen? Mit der Mehrheit, die nicht zu den hochbe­gabten Prob­lem­lösern gehört, die ein­fach nur eine ehrliche Chance auf ein nor­males Arbeit­sleben wollte?

Nun muss sich zeigen, ob wir neue Wege nach oben bauen – oder ob wir akzep­tieren, dass diese Trans­for­ma­tion nicht nur Kar­ri­ereleit­ern umgestal­tet, son­dern ganze Gesellschaftss­chicht­en über­flüs­sig macht. Die stille Rev­o­lu­tion trifft nicht nur eine Gen­er­a­tion beim Beruf­se­in­stieg. Sie stellt die Frage, ob unsere Gesellschaft über­haupt noch Platz hat für durch­schnit­tliche Tal­ente in ein­er Welt außergewöhn­lich­er Maschi­nen.

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