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Accen­ture hat in den let­zten Monat­en mehr als 11.000 Stellen abge­baut und set­zt dabei auf eine radikale Neustruk­turierung für das KI-Zeital­ter: Wer nicht in den Bere­ichen KI, Dat­en und Cloud umgeschult wer­den kann oder laut Unternehmensführung kein „KI-Poten­zial” zeigt, wird ent­lassen. Der CEO Julie Sweet betont, dass die bevorzugte Strate­gie „Umschu­lung” (Upskilling) ist—doch wenn das nicht möglich scheint, wer­den die betrof­fe­nen Angestell­ten inner­halb kurz­er Zeit „exi­tiert”.


Die glob­ale Beratungs­branche erlebt einen beispiel­losen Wan­del. Was bei Accen­ture derzeit geschieht, ist mehr als nur ein weit­er­er Stel­len­ab­bau – es ist ein Par­a­dig­men­wech­sel, der die Zukun­ft der Arbeit in der dig­i­tal­en Wirtschaft neu definiert. Mit über 11.000 abge­baut­en Stellen in den ver­gan­genen Monat­en vol­lzieht das Unternehmen eine Trans­for­ma­tion, die sowohl in ihrer Radikalität als auch in ihren gesellschaftlichen Imp­lika­tio­nen bemerkenswert ist.

Die Sprache der Ent­men­schlichung

In den let­zten drei Monat­en bis August 2025 wur­den etwa 12.000 Arbeit­splätze bei Accen­ture gestrichen – seit Jahres­be­ginn liegt die Gesamtzahl der Ent­las­sun­gen sog­ar noch höher. Diese Zahlen allein erzählen jedoch nur die halbe Geschichte. Denn par­al­lel zu diesem drastis­chen Per­son­al­ab­bau investiert das Unternehmen mas­siv in die Zukun­ft: 550.000 Mitar­beit­er wur­den bere­its in gen­er­a­tiv­er KI geschult, und gezielt wer­den neue Tal­ente mit passenden Qual­i­fika­tio­nen rekru­tiert. Das Ergeb­nis ist para­dox – trotz der Masse­nent­las­sun­gen soll die Gesamtkopfzahl in den USA und Europa wieder steigen.

Diese schein­bar wider­sprüch­liche Strate­gie offen­bart nicht nur eine neue Real­ität der Arbeitswelt, son­dern auch eine per­fide Neusprech-Logik. Der Begriff “KI-fit” ist rein­er Euphemis­mus – eine sprach­liche Ver­schleierung, die aus Men­schen Soft­warekom­po­nen­ten macht, die entwed­er “kom­pat­i­bel” oder “ver­al­tet” sind. CEO Julie Sweet macht dies unmissver­ständlich deut­lich: Wer kein “KI-Poten­zial” zeigt oder nicht schnell genug adap­tiert wer­den kann, wird “exi­tiert”. Diese Begriffe sind ent­lar­vend – Men­schen wer­den nicht ent­lassen, son­dern wie defek­te Pro­grammteile aus dem Sys­tem ent­fer­nt. Die Sprache der Tech­nolo­gie wird bewusst auf Men­schen ange­wandt, um die men­schliche Dimen­sion des Vor­gangs zu ver­schleiern.

Der Preis der Trans­for­ma­tion

Mit 865 Mil­lio­nen US-Dol­lar für das Restruk­turierung­spro­gramm betreibt Accen­ture eine der kost­spielig­sten Per­son­alumgestal­tun­gen der jün­geren Unternehmensgeschichte. Diese Investi­tion in Abfind­un­gen und Ein­malaufwände ist jedoch nur die sicht­bare Spitze des Eis­bergs. Der wahre Preis liegt in dem Ver­lust von gewach­sen­em Erfahrungswis­sen und Unternehmen­skul­tur, der sich kaum quan­tifizieren lässt.

Die harte Selek­tion­slogik hin­ter dem euphemistis­chen “KI-Fit” ignori­ert bewusst die Tat­sache, dass Unternehmen kom­plexe soziale Sys­teme sind, in denen Wis­sen und Kom­pe­ten­zen oft in informellen Net­zw­erken und zwis­chen­men­schlichen Beziehun­gen gespe­ichert sind. Der Begriff sug­geriert eine objek­tive, fast medi­zinis­che Bew­er­tung – als gäbe es einen mess­baren Gesund­heit­szu­s­tand namens “KI-Fit­ness”. In Wahrheit ver­birgt sich dahin­ter eine willkür­liche Kat­e­gorisierung men­schlich­er Arbeit­skraft nach den aktuellen Prof­itabil­ität­skri­te­rien des Unternehmens. Was heute als “nicht KI-rel­e­vant” klas­si­fiziert wird, kön­nte mor­gen wieder entschei­dend wer­den – doch dann sind die Träger dieses Wis­sens längst fort.

Ein Branchen­trend mit gesellschaftlichen Fol­gen

Accen­ture ste­ht nicht allein da. Microsoft, Meta und andere Tech-Gigan­ten ver­fol­gen ähn­liche Strate­gien der “intel­li­gen­ten Per­son­al­ro­ta­tion”. Sie ent­lassen in tra­di­tionellen Bere­ichen und stellen gle­ichzeit­ig in KI-pri­or­itären Feldern ein. Diese koor­dinierte Bewe­gung sig­nal­isiert eine fun­da­men­tale Ver­schiebung in der Def­i­n­i­tion von Arbeit selb­st.

Die soziale Dimen­sion dieser Entwick­lung ist beun­ruhi­gend. Während die Unternehmen von erhöhter Effizienz und Wet­tbe­werb­s­fähigkeit sprechen, wächst bei den Beschäftigten die exis­ten­zielle Unsicher­heit. Beson­ders betrof­fen sind jene, die aus struk­turellen Grün­den – sei es Alter, famil­iäre Verpflich­tun­gen oder begren­zte Lern­möglichkeit­en – nicht kurzfristig auf KI-Kom­pe­ten­zen umgeschult wer­den kön­nen.

Die Illu­sion der Unverzicht­barkeit

Ein beson­ders prob­lema­tis­ch­er Aspekt von Accen­tures Strate­gie liegt in der impliziten Annahme, dass die heuti­gen KI-Anforderun­gen dauer­haft Bestand haben wer­den. Die Tech­nolo­giegeschichte lehrt uns jedoch, dass sich Kom­pe­ten­z­er­fordernisse schneller wan­deln kön­nen als erwartet. Wer heute als “KI-fit” gilt, kön­nte mor­gen bere­its wieder obso­let sein, wenn neue Tech­nolo­gien oder Automa­tisierungs­grade erre­icht wer­den.

Die Gefahr liegt in der Schaf­fung ein­er neuen Klasse von ver­meintlichen “KI-Experten” – hochqual­i­fizierte Spezial­is­ten, die sich in der trügerischen Sicher­heit wiegen, den aktuellen Anforderun­gen zu entsprechen. Der Euphemis­mus “KI-fit” ver­schleiert dabei, dass es sich nicht um eine dauer­hafte Eigen­schaft han­delt, son­dern um eine momen­tane Übere­in­stim­mung mit den Gewin­ner­wartun­gen des Unternehmens. Geschichte und Gegen­wart zeigen: Auch die ver­meintlich sich­er­sten Posi­tio­nen kön­nen durch tech­nol­o­gis­chen Wan­del bedro­ht wer­den – und dann wer­den die heute “Fit­ten” zu den mor­gen “Unfit­ten”.

Zwis­chen Inno­va­tion und sozialer Ver­ant­wor­tung

Die Frage nach der Berech­ti­gung solch­er drastis­chen Maß­nah­men ist kom­plex. Ein­er­seits operiert Accen­ture in einem hyper­kom­pet­i­tiv­en Markt, in dem tech­nol­o­gis­che Rück­ständigkeit exis­tenzbedro­hend sein kann. Die Investi­tion in KI-Kom­pe­ten­zen ist nicht nur strate­gisch klug, son­dern möglicher­weise über­leben­snotwendig.

Ander­er­seits wirft die Art und Weise der Umset­zung fun­da­men­tale ethis­che Fra­gen auf. Die Reduzierung men­schlich­er Arbeit­sleis­tung auf euphemistis­che “KI-Fit­ness” instru­men­tal­isiert Men­schen zu aus­tauschbaren Pro­duk­tions­fak­toren und verdeckt die Bru­tal­ität der Selek­tion hin­ter pseu­do-objek­tiv­en Begrif­f­en. Der Euphemis­mus ver­schleiert, dass hier nicht über tech­nis­che Kom­pat­i­bil­ität entsch­ieden wird, son­dern über men­schliche Exis­ten­zen. Ein Unternehmen, das sich als “Peo­ple Busi­ness” ver­ste­ht, sollte ehrlich­er mit der Sprache und dif­feren­ziert­er im Umgang mit seinen wichtig­sten Ressourcen sein.

Aus­blick: Die neue Arbeit­sor­d­nung

Was bei Accen­ture geschieht, ist ein Vorgeschmack auf eine neue Arbeit­sor­d­nung, in der euphemistis­che Begriffe wie “KI-Fit­ness” die harten Real­itäten der Selek­tion ver­schleiern. Hin­ter der schein­bar neu­tralen Sprache der Tech­nolo­gie ver­birgt sich die alte Logik der Prof­it­max­imierung, nur dies­mal mit dem Anstrich wis­senschaftlich­er Objek­tiv­ität. Der ver­meintliche “KI-Fit” entwick­elt sich zur neuen Währung der Arbeitswelt – eine Währung, deren Wert das Unternehmen nach eigen­em Ermessen fes­tlegt und jed­erzeit ändern kann.

Für Unternehmen bedeutet dies einen erhöht­en Druck, ihre Belegschaften kon­tinuier­lich auf neue Arbeit­srollen vorzu­bere­it­en. Für Arbeit­nehmer steigt die Notwendigkeit lebenslan­gen Ler­nens von ein­er Option zu ein­er Exis­ten­zfrage. Für die Gesellschaft ins­ge­samt stellt sich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und Teil­habe in ein­er zunehmend tech­nol­o­gisierten Wirtschaft.

Die Entwick­lung bei Accen­ture ist damit weit mehr als ein Unternehmen­su­m­bau – sie ist ein gesellschaftlich­es Exper­i­ment, dessen Aus­gang darüber entschei­den wird, ob die KI-Rev­o­lu­tion zu mehr Wohl­stand und men­schlich­er Ent­fal­tung führt oder zu ein­er ver­schärften Spal­tung zwis­chen den Angepassten und den Abge­hängten. Die Antwort auf diese Frage wird nicht in den Vor­stand­se­ta­gen der Tech-Konz­erne gefun­den, son­dern in der Art, wie wir als Gesellschaft den Wan­del gestal­ten und seine Las­ten verteilen.

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