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In den let­zten Jahren hat sich ein bemerkenswertes Para­dox in der deutschen Förder­land­schaft entwick­elt: Pro­gramme zur Dig­i­tal­isierung von Unternehmen, die eigentlich Wet­tbe­werb­s­fähigkeit stärken sollen, zemen­tieren stattdessen überkommene Struk­turen und verzögern notwendi­ge Trans­for­ma­tion­sprozesse. Das Forschung­spro­jekt HYPRO1Soft­ware­basierte Prozes­sautoma­tisierung als Antwort auf den Fachkräfte­man­gel, das kleinen und mit­tleren Unternehmen (KMU) bei der Automa­tisierung ihrer Prozesse helfen soll, illus­tri­ert dieses Dilem­ma exem­plar­isch.

Auf den ersten Blick erscheint der Ansatz dur­chaus sin­nvoll: Ein prax­is­na­h­es Tool soll KMU dabei unter­stützen, passende Automa­tisierungslö­sun­gen zu find­en und umzuset­zen. Die Tech­nolo­gien – Robot­ic Process Automa­tion (RPA), Process Min­ing, Chat­bots – sind erprobt und ver­sprechen schnelle Erfolge. Doch genau hier liegt das Prob­lem.

Die Illu­sion vom Fachkräfte­man­gel

Die Begrün­dung für solche Pro­jek­te fußt oft auf der These des all­ge­gen­wär­ti­gen Fachkräfte­man­gels. Diese Argu­men­ta­tion ist jedoch zunehmend frag­würdig2IAB-Mon­i­tor Arbeit­skräftebe­darf 1/2025: In den meis­ten Branchen ist das Stel­lenange­bot rück­läu­fig. Betra­chtet man die wirtschaftlichen Entwick­lun­gen der let­zten Jahre und die sich abze­ich­nen­den Trends, deutet vieles auf einen kom­menden Fachkräfteüber­schuss hin.

Automa­tisierung wird daher nicht primär deshalb notwendig, weil Men­schen fehlen, son­dern aus völ­lig anderen Grün­den: Kos­ten­druck, inter­na­tionale Wet­tbe­werb­s­fähigkeit und die Notwendigkeit flex­i­bler, anpas­sungs­fähiger Struk­turen. Wer diese Real­ität verken­nt, entwick­elt Lösun­gen für die falschen Prob­leme.

Flickschus­terei statt Trans­for­ma­tion

Die in HYPRO propagierten Tech­nolo­gien – RPA, Process Min­ing, Chat­bots – repräsen­tieren das, was man als dig­i­tale Flickschus­terei beze­ich­nen kön­nte. Sie automa­tisieren beste­hende, oft inef­fiziente Prozesse, ohne deren grund­sät­zliche Berech­ti­gung zu hin­ter­fra­gen. Während im Sil­i­con Val­ley und in anderen Inno­va­tion­szen­tren bere­its agen­ten­basierte KI-Sys­teme entwick­elt wer­den, die ganze Geschäftsmod­elle rev­o­lu­tion­ieren kön­nen, klebt die deutsche Förder­poli­tik an inkre­mentellen Verbesserun­gen fest.

Diese Herange­hensweise ist nicht nur rückschrit­tlich – sie ist gefährlich. Denn sie ver­mit­telt Unternehmen das trügerische Gefühl, am Puls der Zeit zu sein, während sie tat­säch­lich den Anschluss an wirk­lich dis­rup­tive Entwick­lun­gen ver­lieren. Ein KMU, das stolz seine Rech­nungs­bear­beitung per RPA automa­tisiert hat, mag sich mod­ern fühlen. Doch was passiert, wenn ein Konkur­rent mit KI-basierten Agen­ten auf­taucht, die nicht nur Rech­nun­gen bear­beit­en, son­dern ganze Geschäft­sprozesse neu definieren?

Die Zemen­tierung organ­isatorisch­er Defizite

Das eigentliche Prob­lem viel­er Unternehmen liegt nicht in unzure­ichen­der Automa­tisierung, son­dern in ver­al­teten Organ­i­sa­tion­sstruk­turen, star­ren Hier­ar­chien und man­gel­nder Inno­va­tion­skul­tur. Pro­jek­te wie HYPRO behan­deln jedoch nur die Symp­tome, nicht die Ursachen. Sie helfen dabei, beste­hende Inef­fizien­zen zu kaschieren, statt echte Trans­for­ma­tion zu ermöglichen.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen automa­tisiert mit RPA seine umständliche Bestellab­wick­lung. Das mag kurzfristig Zeit sparen, aber es per­pe­tu­iert ein grund­sät­zlich über­holtes Sys­tem. Ein trans­for­ma­tiv­er Ansatz würde fra­gen: Brauchen wir diese Bestellab­wick­lung über­haupt noch? Kön­nen wir mit neuen Tech­nolo­gien und Geschäftsmod­ellen ganz andere Wege gehen?

Die Förder­falle

Die aktuelle Förder­poli­tik ist Teil des Prob­lems gewor­den. Indem sie vor­wiegend bewährte, risikoarme Tech­nolo­gien unter­stützt, schafft sie Fehlanreize. Unternehmen wer­den dafür belohnt, dass sie den Sta­tus quo dig­i­tal aufhüb­schen, statt ihn radikal zu hin­ter­fra­gen. Inno­va­tion find­et so nicht statt – sie wird ver­hin­dert.

Beson­ders fatal ist dies, weil die Zeit drängt. Während deutsche KMU ihre Excel-Tabellen automa­tisieren, entste­hen ander­norts völ­lig neue Wertschöp­fungsmod­elle. Plat­tfor­mökonomien, datengetriebene Geschäftsmod­elle und KI-native Unternehmen definieren ganze Branchen neu. Wer zu spät kommt, wird nicht mehr auf­holen kön­nen.

Das Ende der Halb­herzigkeit

Die harte Wahrheit ist: KMU, die sich darauf beschränken, das Beste­hende ein wenig zu automa­tisieren, wer­den in naher Zukun­ft vom Markt ver­schwinden. Und es wird nicht nur kleine Unternehmen tre­f­fen. Auch Konz­erne, die sich in der Sicher­heit ihrer Größe wiegen und auf inkre­mentelle Verbesserun­gen set­zen, sind bedro­ht. Die Geschwindigkeit, mit der etablierte Akteure von neuen, tech­nol­o­gisch über­lege­nen Wet­tbe­wer­bern ver­drängt wer­den kön­nen, hat sich drama­tisch erhöht.

Ein Plä­doy­er für echte Inno­va­tion

Was braucht es stattdessen? Eine Förder­poli­tik, die Mut zur Dis­rup­tion belohnt. Pro­gramme, die Unternehmen dabei unter­stützen, ihre Geschäftsmod­elle fun­da­men­tal zu über­denken. Investi­tio­nen in Exper­i­men­tier­bere­itschaft, Inno­va­tion­skul­tur und die Fähigkeit zur per­ma­nen­ten Selb­sterneuerung.

Die Tech­nolo­gie ist da – agen­ten­basierte KI, autonome Sys­teme, neue For­men der Men­sch-Mas­chine-Kol­lab­o­ra­tion. Was fehlt, ist der Wille, sie kon­se­quent zu nutzen und dabei auch liebge­wonnene Gewohn­heit­en über Bord zu wer­fen.

Faz­it: Zeit für einen Rich­tungswech­sel

Pro­jek­te wie HYPRO mögen gut gemeint sein, aber sie führen in eine Sack­gasse. Sie schaf­fen die Illu­sion von Mod­ernisierung, während sie tat­säch­lich Rück­ständigkeit kon­servieren. Anstatt Unternehmen beim Über­leben zu helfen, sollte Förder­poli­tik sie zum Gedei­hen befähi­gen – durch echte Trans­for­ma­tion, nicht durch dig­i­tales Make-up.

Die Wahl ist ein­fach: Entwed­er wir ler­nen, Altes radikal infrage zu stellen und Neues zu wagen, oder wir wer­den von denen über­holt, die genau das bere­its tun. In ein­er Welt, die sich expo­nen­tiell verän­dert, ist Halb­herzigkeit der sich­er­ste Weg zum Scheit­ern.

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