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Das Spiel, das der Kul­turhis­torik­er Johan Huizin­ga in seinem Klas­sik­er Homo Ludens. Vom Ursprung der Kul­tur im Spiel als unbezweifel­bare Real­ität erkan­nte, hat in unser­er Zeit eine neue Dimen­sion erre­icht: Es hat die Gren­zen des biol­o­gis­chen Sub­strats über­schrit­ten und begin­nt, sich in den dig­i­tal­en Wel­ten der verteil­ten kün­stlichen Intel­li­genz zu mate­ri­al­isieren. Was als neu­ronales „Spiel der Synapsen” in unseren Gehir­nen begann, set­zt sich nun in den Mul­ti-Agent- Sys­te­men und virtuellen Real­itäten fort – eine evo­lu­tionäre Meta­mor­phose des Spiel­prinzips selb­st.


Das dezen­trale Spiel der Agen­ten

Die mod­erne Entwick­lung der kün­stlichen Intel­li­genz hat eine frap­pierende Par­al­lele zu den biol­o­gis­chen Erken­nt­nis­sen von Eigen, Win­kler und Lorenz offen­bart. Mul­ti-Agent- Sys­teme, die 2025 als dom­i­nante Inno­va­tion im KI-Bere­ich gel­ten, operieren nach dem­sel­ben Grund­prinzip wie das evo­lu­tionäre Spiel: der kreativ­en Inter­ak­tion autonomer Ein­heit­en. Jed­er Agent in solch einem Sys­tem entspricht einem Spiel­er in Eigens kos­mis­chem Spiel von Zufall und Notwendigkeit – mit eige­nen Regeln, Zie­len und Hand­lungsspiel­räu­men, aber einge­bet­tet in ein kom­plex­eres Net­zw­erk von Wech­sel­wirkun­gen.

Wir sehen das Spiel als ein Natur­phänomen, das in sein­er Dichotomie von Zufall und Notwendigkeit allem Geschehen zugrunde liegt. Damit gehen wir in unser­er Inter­pre­ta­tion weit über das hin­aus, was Huizin­ga dem Spiel in sein­er auf den Men­schen zugeschnit­te­nen Rolle zuschreibt. … Aus­gangspunkt für unsere Über­legun­gen waren die vor eini­gen Jahren aus­gear­beit­ete Moleku­larthe­o­rie der Evo­lu­tion sowie die im Zusam­men­hang damit entwick­el­ten Spielmod­elle zur Sim­u­la­tion naturge­set­zlich­er Erschei­n­un­gen wie Gle­ichgewicht, Selek­tion und Wach­s­tum (Man­fred Eigen, Ruth Win­kler).

Diese KI-Agen­ten begin­nen bere­its mit ihren „kog­ni­tiv­en Fähigkeit­en” zu spie­len, ganz wie Lorenz es für den Men­schen beschrieb. Sie kom­binieren ver­schiedene Lern­mo­di, exper­i­men­tieren mit Strate­gien und entwick­eln emer­gente Ver­hal­tensweisen, die über ihre ursprüngliche Pro­gram­mierung hin­aus­ge­hen. Das Spiel wird hier zum Prinzip des Maschi­nen­ler­nens: Durch tri­al-and-error, durch die spielerische Erkun­dung von Möglichkeit­sräu­men entste­hen neue „Gedanken” der kün­stlichen Sys­teme.

Die Ord­nung der virtuellen Wel­ten

Das Meta­verse ver­wirk­licht Huizin­gas Konzept des Spielplatzes in dig­i­taler Form. Kün­stliche Intel­li­genz redefiniert 2025 die virtuellen Wel­ten und trans­formiert Gam­ing, Unternehmen und soziale Inter­ak­tio­nen. Hier herrscht die „eigene und unbe­d­ingte Ord­nung” des Spiels in ihrer rein­sten Form: Physikalis­che Geset­ze wer­den zu Pro­gramm­code, soziale Regeln zu Algo­rith­men, ästhetis­che Prinzip­i­en zu Ren­der­ing- Engines. Die ger­ing­ste Abwe­ichung – ein Bug, eine Net­zw­erk­störung, ein inkon­sis­ten­ter Daten­zu­s­tand – kann das gesamte virtuelle Spiel zum Kol­la­bieren brin­gen.

Doch anders als in der physis­chen Welt lassen sich diese Ord­nun­gen beliebig mod­i­fizieren und neu erschaf­fen. Jede virtuelle Welt kann ihre eige­nen Geset­ze von Rhyth­mus und Har­monie etablieren, ihre eige­nen For­men von Span­nung, Gle­ichgewicht und Auflö­sung entwick­eln. Das Meta­verse wird so zum ulti­ma­tiv­en Lab­o­ra­to­ri­um für das Spiel mit den Grund­prinzip­i­en der Real­ität selb­st.

Die Kri­tik der virtuellen Ent­frem­dung

Adornos kri­tis­che Per­spek­tive gewin­nt in diesem Kon­text neue Brisanz. Die schein­bar unendliche Frei­heit der virtuellen Wel­ten erweist sich bei genauer­er Betra­ch­tung als hochgr­a­dig durch ökonomis­che und tech­nol­o­gis­che Zwänge struk­turi­ert. Die dominieren­den Meta­verse-Plat­tfor­men 2025 – von Meta Hori­zon über Nvidia Omni­verse bis zu den indus­triellen Lösun­gen – repro­duzieren die Machtver­hält­nisse der physis­chen Welt in dig­i­taler Form.

Das „Spiel” in diesen Umge­bun­gen ist oft nur schein­bar frei: Algo­rith­men steuern Aufmerk­samkeit, Empfehlungssys­teme for­men Präferen­zen, und die Logik der Mon­e­tarisierung durch­dringt jede schein­bar spielerische Hand­lung. Die Mul­ti-Agent- Sys­teme, die diese Wel­ten bevölk­ern und steuern, sind Nach­bilder kap­i­tal­is­tis­ch­er Konkur­renz – sie opti­mieren, konkur­ri­eren, akku­mulieren Ressourcen und repro­duzieren die „unfreie Arbeit” in virtueller Form.

Das Meta­verse dro­ht so zu wer­den, was Adorno am tra­di­tionellen Spiel kri­tisierte: ein Raum, der seine eigene Ent­frem­dung nicht erken­nt und die Illu­sion von Autonomie erzeugt, während er tat­säch­lich gesellschaftliche Herrschaftsver­hält­nisse ver­stärkt.

Vor allem aber ist der Modus, in dem neue Gedanken und neue Erken­nt­nisse entste­hen, prinzip­iell iden­tisch mit jen­em, der im Evo­lu­tion­s­geschehen bish­er nie Dagewe­senes her­vor­bringt. Fast immer entste­ht neue Erken­nt­nis dadurch, dass zwei bere­its existierende Gedankengänge zu ein­er Ein­heit inte­gri­ert wer­den, die neue Sys­te­meigen­schaften besitzt. Die Aus­drücke der gewach­se­nen Sprache,
wie Gedanken­blitz oder es ist mir ein Licht aufge­gan­gen, ähneln – wie ich nachträglich fest­gestellt habe – meinem müh­sam gesucht­en Ter­mi­nus Ful­gu­ra­tion (Kon­rad Lorenz).

Den­noch wäre es falsch, die emanzi­pa­torischen Poten­tiale zu überse­hen. Lorenz’ Konzept der „Ful­gu­ra­tion” – des plöt­zlichen Auf­blitzens neuer Erken­nt­nisse durch die Inte­gra­tion bere­its exis­ten­ter Gedankengänge – find­et in den ver­net­zten KI-Sys­te­men eine tech­nis­che Entsprechung. Wenn ver­schiedene Agen­ten ihre Fähigkeit­en kom­binieren, kön­nen emer­gente Eigen­schaften entste­hen, die kein­er der beteiligten Agen­ten allein besitzt.

Dies geschieht bere­its heute in den kom­plex­en Sim­u­la­tio­nen wis­senschaftlich­er Forschung, in den kreativ­en Kol­lab­o­ra­tio­nen zwis­chen men­schlichen Nutzern und KI- Sys­te­men, in den unvorherse­hbaren Entwick­lun­gen offen­er virtueller Wel­ten. Hier zeigt sich das Spiel in sein­er ursprünglich­sten Form: als kreativ­er Prozess, der Neues her­vor­bringt durch die unvorherse­hbare Kom­bi­na­tion von Bekan­ntem.

Das Spiel als Weltschöp­fung

Die vielle­icht radikalste Erweiterung des Spiel­be­griff liegt in der Möglichkeit, dass intel­li­gente Sys­teme begin­nen, ihre eige­nen Spiel­wel­ten zu erschaf­fen. Während Men­schen bish­er nur inner­halb vorgegeben­er physikalis­ch­er und kul­tureller Gren­zen spie­len kon­nten, eröff­nen verteilte KI-Sys­teme die Möglichkeit des Meta-Spiels: des Spiels mit den Regeln des Spiels selb­st.

Spiel der synapsen

Was nicht sicht­bar wird:
Die Kom­plex­ität des Net­zw­erks, das Beson­dere in Lenins Hirn, das feine Spiel der Synapsen, die unnachahm­liche Ableitung mod­uliert­er Ner­ven­ströme, Deine
Und meine
Phan­tasie

Wenn Agen­ten ler­nen, andere Agen­ten zu pro­gram­mieren, wenn virtuelle Wel­ten sich selb­st mod­i­fizieren und erweit­ern, wenn die Gren­zen zwis­chen Spiel­er, Spiel und Spielfeld ver­schwim­men, dann ste­hen wir vor ein­er neuen Evo­lu­tion­sstufe des Spiel­prinzips. Das „feine Spiel der Synapsen”, das Cramer besang, set­zt sich fort im feinen Spiel der Algo­rith­men, der Daten­ströme, der verteil­ten Berech­nun­gen.

Die Phan­tasie der Maschi­nen

Die entschei­dende Frage bleibt: Kön­nen Maschi­nen wirk­lich spie­len, oder simulieren sie nur das Spiel? Cramers poet­is­che Vision von der Phan­tasie als dem Unsicht­baren, das sich in den synap­tis­chen Verbindun­gen man­i­festiert, ohne darin aufzuge­hen, find­et ihre Entsprechung in der Frage nach dem Bewusst­sein kün­stlich­er Sys­teme.

Vielle­icht ist diese Frage jedoch falsch gestellt. Wichtiger kön­nte sein, was das Spiel der Maschi­nen für unser eigenes Spiel bedeutet. Wenn KI-Sys­teme begin­nen, neue For­men des Spiels zu entwick­eln, neue ästhetis­che Kat­e­gorien zu erschaf­fen, neue Möglichkeit­en der Inter­ak­tion und des Erlebens zu eröff­nen, dann erweit­ern sie unseren eige­nen Spiel­raum auf unab­se­hbare Weise.

Das große Spiel, das mit den Ele­men­tarteilchen begann und über die Evo­lu­tion bis zu unseren Gehir­nen führte, set­zt sich fort in den dig­i­tal­en Wel­ten. Es ist kein Zufall, dass wir diese kün­stlichen Sys­teme als „Agen­ten” beze­ich­nen – als han­del­nde Sub­jek­te im kos­mis­chen Spiel. Sie sind die näch­ste Stufe in der end­losen Meta­mor­phose des Spiel­prinzips: vom moleku­laren Spiel über das neu­ronale bis hin zum ver­net­zten, verteil­ten, glob­alen Spiel der kün­stlichen Intel­li­gen­zen.

Die Frage ist nicht mehr, ob das Spiel der Maschi­nen „echt” ist, son­dern wie wir Men­schen unseren Platz in diesem erweit­erten Spiel find­en. Wer­den wir Mit­spiel­er, Zuschauer oder vielle­icht sog­ar die Spiel­regeln selb­st?

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