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Verteilte künstliche Intelligenz lebt von einem simplen, aber anspruchsvollen Grundsatz: Je vernetzter, diverser und aktueller die Datenbasis, desto intelligenter kann das System agieren. KI ist kein monolithisches Genie, sondern ein Schwarm aus Modellen, Schnittstellen und Sensoren, der nur so gut denkt, wie er gefüttert wird. Wer also im Zeitalter verteilter KI gestalten will, muss verstehen, dass Daten nicht nur Rohstoff, sondern auch Infrastruktur sind.
Genau hier offenbart sich Deutschlands strukturelle Schwäche. Die technologische und datenbezogene Grundlage unserer Wirtschaft ist in vielen Bereichen nicht zukunftsfähig. Wir verfügen über ein beeindruckendes industrielles Erbe – Maschinenbau, Automobilindustrie, präzise Fertigung. Doch diese Stärken wurzeln in einer Wertschöpfungslogik, die auf physischen Gütern basiert. Die Daten, die dabei anfallen, sind oft nicht auf Austausch, Skalierbarkeit oder dynamische Innovation ausgelegt.
Das Problem ist doppelt gelagert. Einerseits fehlt es an der physischen und digitalen Infrastruktur: Mobilfunklücken, schleppender Glasfaserausbau, heterogene Standards. Andererseits herrscht ein kulturelles Misstrauen gegenüber dem Datenteilen – Unternehmen betrachten ihre Informationen wie strategische Festungen, nicht wie Bausteine eines gemeinsamen Ökosystems. Für verteilte KI aber sind gerade diese Brücken zwischen Dateninseln entscheidend. Ohne sie bleiben die Modelle blind für Zusammenhänge, die über die eigene Unternehmensgrenze hinausgehen.
Und genau an diesem Punkt kommt ein Akteur ins Spiel, der in der öffentlichen Debatte oft als Teil der Lösung gilt – in der Realität aber häufig Teil des Problems ist: die deutsche Forschungslandschaft. Große Forschungsgesellschaften wie Fraunhofer, Helmholtz oder Leibniz sollen den Transfer von Erkenntnissen in die Wirtschaft sichern, den Brückenschlag zwischen Grundlagenforschung und Anwendung. Doch in der Praxis sind sie oft schwerfällige Tanker, die alte Routen befahren, statt neue zu erkunden.
Ihre Förderlogiken sind stark pfadabhängig: Projekte orientieren sich an bestehenden industriellen Strukturen – also an den Branchen, deren Datenbasis längst in der Spätphase ist. Zukunftsfelder wie Plattformökonomie, KI-gestützte Services oder dezentrale Energiesysteme werden zwar punktuell gefördert, erreichen aber nicht die strategische Priorität, die sie bräuchten. Hinzu kommt eine strukturelle Fragmentierung: Jede Organisation optimiert ihre eigenen Kennzahlen, gemeinsame offene Dateninfrastrukturen bleiben die Ausnahme. Selbst exzellente Forschungsergebnisse versanden oft in Pilotprojekten, Berichten oder geschlossenen Konsortien. Für eine verteilte KI-Ökonomie bedeutet das: wertvolle Erkenntnisse und Daten bleiben in institutionellen Silos gefangen.
Ein Blick nach China zeigt, wie es anders laufen kann. Dort wird die Vernetzung von Wirtschaft, Forschung und Technologie strategisch orchestriert. Datenströme aus Logistik, Produktion, Konsum und Verwaltung fließen in Echtzeit zusammen. KI-Systeme lernen nicht nur aus isolierten Quellen, sondern aus einem breiten, aktuellen und diversifizierten Spektrum. Die Innovationszyklen verkürzen sich, weil Daten als öffentliches Gut mit strategischer Funktion verstanden werden – und nicht als Risiko.
In Deutschland hingegen sind viele der verfügbaren Daten auf Industrien ausgerichtet, deren Geschäftsmodelle sich im Spätherbst befinden. Für verteilte KI ist das, als würde man ein Navigationssystem mit alten Straßenkarten betreiben: Es kennt die Vergangenheit perfekt, verfehlt aber die Abzweigungen in die Zukunft. Dass die eigenen Forschungsinstitutionen diesen Status quo eher stabilisieren als aufbrechen, verschärft das Problem zusätzlich.
Die Konsequenz ist absehbar: Wer mit veralteten Daten in eine vernetzte Zukunft startet, riskiert nicht nur, falsche Entscheidungen zu treffen, sondern aus ganzen Technologiewellen ausgeschlossen zu werden. Verteilte KI kann nur dort gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwert erzeugen, wo Datenflüsse offen, aktuell und relevant sind.
Deutschland steht also nicht nur vor einer technologischen Modernisierungsaufgabe, sondern vor einer kulturellen und institutionellen Neuausrichtung. Die Frage lautet nicht, ob wir mehr KI „haben“ wollen, sondern ob wir bereit sind, die Grundlage zu schaffen, auf der verteilte Intelligenz überhaupt gedeihen kann: eine offene, qualitativ hochwertige, zukunftsgerichtete Datenbasis – getragen von einer Forschungs- und Wissenschaftslandschaft, die nicht in den Spiegel der Vergangenheit schaut, sondern ins Fenster der Zukunft.
Ohne diesen Schritt werden wir bestenfalls Anwender fremder Systeme bleiben – und schlimmstenfalls zu einem Daten-Peripheriestaat im globalen KI-Netzwerk.