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Von Ralf Keuper
Erst gestern hatte ich auf diesem Blog die Euphorie einiger Experten, was das Potenzial der KI-gestützten Auswertungen von Industriedaten für die deutsche Wirtschaft betrifft, infrage gestellt, da kommt ein Beitrag, der einige Punkte der Kritik bestätigt. Allerdings werden auch darin die grundsätzlichen Probleme nicht angesprochen.
Doch zunächst zu dem Beitrag. In Europa hat bei Industrie 4.0 Chancen verpasst stelltTill Reuter, Chief Executive Officer Dormakaba Group, fest, dass Europa hat mit Industrie 4.0 eine intelligente Digitalisierung industrieller Prozesse initiiert, jedoch wichtige Chancen durch mangelnde Standardisierung und Plattformbildung verpasst habe. Während die USA auf Plattformökonomien und Konsumentenmärkte setzten, blieb Europa auf industrielle Exzellenz fokussiert. Reuter fordert eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Maschinenbauer zur Schaffung einheitlicher Standards und Plattformen, um globale Märkte zu dominieren.
Mit Bau 5.0 stehe nun die Transformation der Bau- und Immobilienbranche an, die über 10 % der europäischen Wirtschaftsleistung ausmacht, jedoch stark unterdigitalisiert ist. Bau 5.0 umfasst:
- Automatisiertes, modulares Bauen mit robotergestützter Fertigung.
- KI-gestützte Planung, Simulationen und digitale Zwillinge.
- Vernetzte Gebäude mit Echtzeitanalysen und Optimierungen.
- Die Initiative OPEN DBL der EU zielt auf ein digitales Gebäudelogbuch ab, das den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes abbildet.
- Zudem sollen Technologien wie Sensorik und KI genutzt werden, um kritische Infrastrukturen zu schützen und Sicherheitsrisiken frühzeitig zu erkennen.
Europa habe das Potenzial, durch Projekte wie Bau 5.0 und OPEN DBL seine technologische Führungsrolle auszubauen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Kurze Frage: Warum soll im Bau gelingen, was in der Industrie nicht möglich war?
Es sind nicht nur Versäumnisse in der Standardisierung und Plattformbildung, die den Erfolg von Industrie 4.0 aus europäischer Sicht verhindert haben. Auch nicht der mangelnde Wille der Unternehmen, der alleine schon ausgereicht hätte. Das Elend um Gaia‑X mit seinen diversen Ablegern belegt diesen Befund eindrücklich. Ganz zu schweigen von gescheiterten Projekten im Maschinenbau wie ADAMOS.
Standards und Plattformen lassen sich nicht mal so aus dem Hut zaubern, oder per Beschluss der Regierung oder der EU-Kommission für alle Marktteilnehmer, vor allem nicht für die außereuropäischen, für verbindlich erklären. Google, Amazon, Apple & Co. haben mit ihren Cloud, Smartphones, mobilen Betriebssystemen und Plattformen einen Quasi-Standard geschaffen, der Fakten und damit Abhängigkeiten schafft1vgl. dazu das Gesetz der zunehmenden Erträge von Brian Arthur . Es war von Anfang an klar, dass die Ambitionen von Big Tech nicht beim B2C-Geschäft halt machen werden. Stichwort: Industrial Cosumeriziation.
Reicht es aus, wenn wir uns darauf konzentrieren unsere Produkte mit Künstlicher Intelligenz zu veredeln, wie Wolfgang Wahlster meint. Was nützt es, wenn deutsche Automobilhersteller die meisten Patente beim autonomen Fahren halten, wenn sie diese Erkenntnisse nicht in brauchbare Produkte und Services umsetzen können? Dazu werden künftig mehr als bislang große Plattformen benötigt. Reicht es für die deutsche Wirtschaft aus, sich auf den Bereich B2B und seine Rolle aus Systemintegrator zu konzentrieren? Wohl kaum, wenn man folgende Zeilen auf sich wirken lässt2Unternehmung 4.0 – vom disruptiven Geschäftsmodell zur Automatisierung der Geschäftsprozesse:
Der industrielle IoT-Bereich fasst alles zusammen, was außerhalb des klassischen Verbrauchermarktes liegt, mit einem starken Fokus auf das B2B-Geschäft. Im Allgemeinen gibt es eine Konvergenz zwischen Verbraucher- und Industrie-Internet. Anzeichen für eine “Konsumerisierung” sehen wir beispielsweise im Heimmarkt durch das Auftreten von sprachgesteuerten Geräten wie Amazons Alexa oder Apples HomePod. Dies ist auch typischerweise in der Automobilindustrie der Fall, wo Verbraucher- und Industrieplattformen das Konzept des vernetzten und automatisierten Fahrens verschmelzen. (aus: Cognitive Hyperconnected Digital Transformation. Internet of Things Intelligence Evolution)
In einem Interview, das ich vor einiger Zeit mit August-Wilhelm Scheer führte3“Wir brauchen einen Ruck durch Politik, Forschung, Unternehmen und Gesellschaft” – Interview mit Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, stellte ich die Frage:
Frage: Auf der anderen Seite ist Wolfang Wahlster der Ansicht, dass Deutschlands Stärke in der Veredelung unserer Produkte durch KI-Anwendungen und in Smart Services liege. Stimmen Sie dem zu?
AWS: Ich stimme meinem Freund und Kollegen Wolfgang Wahlster zu, möchte aber ergänzen, dass die Nagelprobe sein wird, ob wir es schaffen, unser Wissen in die Tat umzusetzen. Dieses bedeutet, dass wir es wirklich schaffen, an der Spitze zu liegen, wenn es darum geht, unsere gegenwärtig erfolgreichen, mehr materiellen Produkte zu digitalisieren und mit neuen Dienstleistungen wie Predictive Maintenance oder Predictive Quality Assurance zu ergänzen. Wenn ich Beiträge lese, in denen die deutsche KI Kompetenz hervorgehoben wird, aber dann Beispiele von dem IBM System Watson oder von Google zitiert werden, dann kommen mir manchmal Zweifel, ob wir wirklich hier schon genügend Kraft zur digitalen Umsetzung eingesetzt haben.
Und jetzt kommt noch die generative KI hinzu, wo Europa allenfalls Zaungast ist. Die fortschreitende De-Industrialisierung in Europa und Deutschland führt zu einer weiteren Schwächung der Ausgangsposition. Die Industriedaten spiegeln veraltete Geschäftsmodelle wieder, die ihren Zenit überschritten haben, d.h. die sich in der Auslaufphase befinden. Auf dieser Daten- und Technologiebasis kann nichts wirklich Neues und Bahnbrechendes entstehen. Das muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen — das gilt natürlich auch für die Baubranche, die in Sachen Digitalisierung und Standardisierung nicht unbedingt zu den Vorreitern zählt. Mit Blick auf den Zustand der Straßen und Brücken im Land ist die Digitalisierung nicht das vordringlichste Problem — schön wär’s.
Wo sollen denn jetzt auf einmal die dazu nötigen Dateninfrastrukturen, Plattformen und Standards herkommen, die selbst in Branchen, deren Digitalisierungsgrad höher ist, nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben? Mit Initiativen wie Gaia‑X etwa?
Ein Geschäfts- und Datenmodell, das in der Grütze ist, wird dadurch nicht besser — weder mit Standardisierung noch mit KI.
Da brauchen wir andere, deutlich kreativere Ansätze. Die Verfeinerung des Bestehenden wird nicht reichen — im Gegenteil, sie führt weiter in die Sackgasse. Erst einmal müssen wir das Problem klar benennen und definieren. Dabei gilt es von Wunschvorstellungen und Erinnerungen an bessere Tage Abschied zu nehmen.