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Von Ralf Keuper
Die Tech-Industrie des Silicon Valley sieht den Menschen in einer KI-dominierten Zukunft oft nur als Supervisor automatisierter Prozesse. Doch wahre Innovation erfordert menschliche Kreativität und Instinkte, die KI allein nicht ersetzen kann, so Alex Wehnert in KI würgt Innovationspotenzial im amerikanischen Tech-Sektor ab.
Der „Data + AI Summit“, der in der vergangenen Woche in San Francisco stattfand, sei dafür exemplarisch. Die Präsentation des Databricks-CEO Ali Ghodsi Tools, bei der die Vorzüge von „Agent Bricks“, eines KI-Agenten, der sich u.a. für die Produktentwicklung einsetzen lässt, vorgeführt werden sollten, belege, dass KI-Agenten nicht kreativ und innovativ sein können — sie könnten keine bahnbrechenden Ideen oder unkonventionellen Fragen stellen. So sollte der KI-Agent bei Ghodsis Keynote die komplizierte Abstimmung zwischen Teams wie Marketing, Finanzen und Forschung sowie der Rechtsabteilung eines fiktiven Getränkeherstellers überflüssig machen, indem er von allen eingespeiste Datensätze miteinander interagieren ließ. Das Programm kam zu einer klaren Empfehlung: Da die zwei beliebtesten Geschmacksrichtungen Wassermelone und Gurke seien und sich beide effizient kombinieren und bewerben lassen, – sei die Lancierung eines Wassermelone-Gurke-Gesundheitsdrink eine sinnvolle Strategie.
Auf den Gedanken, eine völlig neue Geschmacksrichtung vorzuschlagen, kommt der KI-Agent nicht – und darauf zu fragen, ob der Markt für Gesundheitsdrinks nicht längst übersättigt und es Zeit für völlig neue Produktlinien ist, schon gar nicht.
Eine rein auf Effizienz ausgerichtete KI-Nutzung reiche nicht aus. Der Weg, einen menschlichen „Supervisor“ zwischenzuschalten, fördere keine nachhaltige Innovation. Menschliche Kreativität müsse mit KI kombiniert werden, um echte Fortschritte zu erzielen – andernfalls droht die Welt in banalen, von Algorithmen erdachten Lösungen zu versinken.
So weit so gut, und alles in allem auch berechtigt. Dass das Silicon Valley und die Tech-Konzerne nicht wirklich innovativ seien bzw. die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen Wirtschaft nicht angehoben hätten, diagnostizierte bereits vor einigen Jahren kein Geringerer als Michael E. Porter in seiner Studie 6 Problems Unsolved And A Nation Divided. The State of U.S. Competitiveness 2016. Darin halten die Autoren u.a. fest:
Die Wettbewerbsfähigkeit der USA hat sich schon lange vor der Großen Rezession verschlechtert. Amerikas wirtschaftliche Herausforderungen sind strukturell, nicht konjunkturell bedingt. Die schwache Erholung spiegelt die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit sowie die Unfähigkeit wider, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die wachsenden Schwächen der USA zu beheben. … Dieses Muster von Stärken und Schwächen trägt dazu bei zu erklären, warum die US-Wirtschaft nicht mehr für gemeinsamen Wohlstand sorgt. Große Unternehmen, die qualifizierten Personen, die sie leiten, und diejenigen, die in sie investieren, profitieren von Amerikas größten Stärken und prosperieren. Die Arbeitnehmer und kleinen Unternehmen sind jedoch Gefangene der größten Schwächen der Nation.
An der Diagnose ändere der Boom im Silicon Valley nichts. Der Effekt der Startups und Technologieunternehmen reicht bei weitem nicht aus, um die De-Industrialisierung in anderen Teilen des Landes auszugleichen.
Das Problem ist deutlich älter, als die KI-Agenten.
Bereits im Jahr 1980 wiesen Robert H. Hayes und William J. Abernathy in Managing Our Way to Economic Decline darauf hin, dass die Unternehmen verstärkt dazu übergingen, sich auf Themen wie Inflation, Regulierung und Steuern zu konzentrieren und weniger auf die Herstellung innovativer Produkte. Ähnlich wie Hayes und Abernathy argumentierte im Jahr 2007 Henry Mintzberg in Productivity Is Killing American Enterprise; und auch der Erfinder des „Innovators Dilemma“, Clayton Christensen, monierte in einem Interview, dass Effizienz-Innovationen zu sehr im Vordergrund stehen. Wachstum käme jedoch fast immer von sog. disruptiven Innovationen, worunter Christensen versteht, dass ein bisher teures oder kompliziertes Produkt einfacher und billiger gemacht wird.
Laut Greg Sattel hängt die Frage, ob neue Technologien wie KI oder Quantencomputer die Welt verändern, weniger von der Technik selbst ab als von der Gestaltung menschlicher Ökosysteme: der Fähigkeit, Arbeitsweisen, Geschäftsmodelle und soziale Systeme neu zu denken1Why The Future Of Technology Is Always More Human. Die Geschichte zeigt: Erst wenn Menschen Technologien sinnvoll in ihr Leben und Arbeiten integrieren, entfalten diese ihren vollen Wert. Der Schlüssel zur Zukunft liege daher im menschlichen Verhalten, nicht in der Technik allein.
Nur ein kleiner Teil der Arbeit eines Unternehmens wird an der Spitze erledigt, wie wichtig diese Arbeit auch sein mag. Der Rest wird dort erledigt, wo die eigentliche Arbeit stattfindet, nämlich unten und da draußen. Wenn sie dort nicht erledigt wird, oder nicht gut erledigt wird, helfen auch die besten Unternehmensstrategien, die besten Informationssysteme, die beste Organisationsstruktur oder ‑routinen oder die beste Corporate citizenship nicht weiter. In einer wettbewerbsintensiven Welt macht sich Ineffektivität schnell im Ergebnis bemerkbar. Es reicht nicht aus, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Sie müssen auch rechtzeitig und energisch erfolgen. Richtige Maßnahmen, die mit Zuversicht ergriffen werden, erzeugen ansteckende Zuversicht und Energie. Sie sind mindestens ebenso notwendig für die wirksame Ausführung wie Kompetenz selbst.(Ted Levitt. Thinking about Management)
Kaum einer, der sich kritisch-konstruktiv mit den Möglichkeiten der KI, und vor allem der agentenbasierten KI beschäftigt, ist der Ansicht, dass KI die menschliche Kreativität ersetzen und von sich aus innovativ sein kann. Richtig eingesetzt können KI-Agenten jedoch echte Intelligenzverstärker, Kommunikationspartner sein, die helfen, den eigenen Horizont zu erweitern oder andere Aspekte in den Blick zu nehmen — wie in einem konstruktiven und fruchtbaren Dialog. Die Idee und deren Umsetzung ist dann eine Frage der Geschäftspolitik, der Strategie und gewiss auch des Talents und der Durchsetzungsfähigkeit einzelner Personen oder ganzer Teams.
Den Pfad der Gewohnheit zu verlassen, nichts für selbstverständlich zu halten, sich nie zufrieden zu geben, immer wieder zu fragen: „Warum nicht?“, „Was sonst?“, „Wozu?“ und wieder „Warum nicht?“ gehören zu den wichtigsten Aufgaben des Managers; und auch die notwendigen, sich wiederholenden Aufgaben, die von den organisatorisch festgelegten Routinen vorgeschrieben werden, tagtäglich mit effizienter und berechenbarer Zuverlässigkeit zu erfüllen.(ebd.)
Nutzlose, unkreative Produkte werden bis zum heutigen Tag von den Marketing- und Technik-Abteilungen der Unternehmen in großer Zahl lanciert — KI macht es da nicht besser — aber auch nicht schlimmer.
Erinnert sei an den Einsatz der Systemanalyse unter Robert McNamara, als dieser kurz nach dem 2. Weltkrieg Leiter für Planung und Finanzanalyse bei Ford war. Immer häufiger wurden die Ingenieure und Designer von den Controllern überstimmt. Ergebnis waren nicht selten fehlerhafte Autos, die zu zahlreichen Todesfällen führten sowie Modelle, die komplett am Bedarf vorbei gingen, da sie fast ausschließlich unter Kostengesichtspunkten konstruiert wurden; nicht selten kam dabei ein „Zwitter“ heraus, ein Auto, das allen gefallen sollte, dadurch aber nur wenige zum Kauf animierte.
Wirklich kreative Personen oder Unternehmen waren schon in der guten alten Zeit Mangelware — das wird auch im Zeitalter von KI so bleiben. Die Unternehmen jedoch, die in der Lage sind, KI-Agenten als Werkzeuge intelligent einzusetzen, werden die Nase vorne haben.
Die entscheidende Frage lautet: Was ist die zu beantwortende Frage, das zu beleuchtende Problem, der zu untersuchende Sachverhalt, das zu definierende Thema? Und gerade weil es sich dabei nicht um selbst definierte Begriffe handelt, ist es unerlässlich, sie im Voraus zu durchdenken, denn keine Datenmenge wird Ihnen sagen, welche Informationen Sie benötigen, um die richtigen Fragen zu stellen.
Je schneller und akrobatischer der Computer arbeiten kann, desto notwendiger ist es, dass seine vermeintlichen Nutznießer erst einmal darüber nachdenken, wozu das alles gut sein soll (ebd).