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Im Jahr 2006 setzte sich Johannes Weyer in dem Arbeitspapier Die Kooperation menschlicher Akteure und nicht-menschlicher Agenten. Ansatzpunkte einer Soziologie hybrider Systeme mit der Frage auseinander, welchen Beitrag die Soziologie zu einem besseren Verständnis des Zusammenspiels von intelligenter Technik und dem Menschen beitragen kann.
Hier nun eine Zusammenfassung:
Die Entstehung neuer Technologien hat weitreichende Konsequenzen für die Stellung des Menschen in der Welt und sein Verhältnis zur Technik. Historisch betrachtet haben fundamentale Technologien wie die Agrikultur, Feuerbearbeitung, Maschinentechnologie sowie Elektrizität und Mikroelektronik zu erheblichen sozialen Umbrüchen geführt. Diese Technologien veränderten nicht nur Produktionsweise und Lebensstil, sondern auch die sozialen Strukturen und Interaktionen innerhalb der Gesellschaft.
Aktuell erleben wir mit der Verbreitung “intelligenter” Technologien einen weiteren signifikanten Umbruch. Diese Technologien, insbesondere “smarte” Agenten-Systeme, verfügen über die Fähigkeit, eigenständig zu handeln und Entscheidungen zu treffen, die zuvor dem Menschen vorbehalten waren. Konzepte wie “Autonomie” und “Interaktivität” gewinnen an Bedeutung und werfen grundlegende Fragen zu den Handlungsträgern in technischen Systemen auf. Die traditionelle Sichtweise, dass Maschinen als willfährige Werkzeuge fungieren, wird zunehmend hinterfragt. Stattdessen entwickelt sich ein interaktives Verhältnis zwischen Mensch und Technik, in dem technische Systeme als Partner und Mitentscheider in kooperativen Prozessen agieren.
In den letzten 50 Jahren hat sich in der Theorie der Steuerung komplexer Systeme ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das hierarchische Modell zentraler Planung und Steuerung wurde durch netzwerkartige, dezentrale und selbstorganisierte Formen der Koordination abgelöst. Diese Veränderung wurde durch die Erkenntnis gefördert, dass komplexe Systeme nicht vollständig kontrolliert werden können, was sowohl an der Komplexität der Systeme selbst als auch an den nicht-antizipierten Effekten liegt. Zudem sind die Komponenten sozialer Systeme keine passiven Objekte, sondern Akteure mit eigenen Interessen und Handlungsintentionen. Dies führte zu einer Hinwendung zu Theorien der Selbstorganisation und der Handlungskoordination in Netzwerken.
Die in den Sozialwissenschaften diskutierten Konzepte wie “Autopoiesis” (Luhmann), “Dezentrale Kontextsteuerung” (Willke) und “Akteurzentrierter Institutionalismus” (Mayntz/Scharpf) verdeutlichen, dass direkte Interventionen von außen oft ineffizient und politisch problematisch sind. Effiziente Steuerung erfordert vielmehr die Anschlussfähigkeit der Systeme, d.h. die Fähigkeit der Akteure, Steuerungsimpulse intern zu verarbeiten und produktiv zu verknüpfen.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung “intelligenter” Technik stellt sich die Frage, ob die soziologischen Theorien, die menschliche Akteure in den Mittelpunkt stellen, noch angemessen sind. Es wird argumentiert, dass wir die Konzepte von Intervention, Steuerung und Koordination überdenken müssen, um die hybriden Systeme des verteilten Handelns zu berücksichtigen. In diesen Systemen wird oft unklar, wer für Entscheidungen verantwortlich ist – der Mensch, die Maschine oder eine Kombination aus beiden. Dies führt dazu, dass die Effekte von Handlungen nicht mehr eindeutig zugeordnet werden können.
Die “Intelligenz” der Technik beruht nicht allein auf der Rechenleistung, sondern auf der Fähigkeit, ihre Umgebung durch Sensorik wahrzunehmen und basierend auf diesem Verständnis situationsgerechte Entscheidungen zu treffen. Diese Entwicklung erfordert ein überarbeitetes Verständnis von Interaktionen zwischen Mensch und Technik.
Ein zentrales Fazit ist, dass die Debatte über die Rolle nicht-menschlicher Akteure in der Techniksoziologie angestoßen wurde, aber noch konkrete analytische Ansätze fehlen. Die Actor-Network-Theory von Bruno Latour hat zwar wichtige Fragen aufgeworfen, bleibt aber in der praktischen Analyse unkonkret.
Die Herausforderungen, die aus der Beteiligung von Technik an Entscheidungsprozessen entstehen, sind vielfältig. Die “Intelligenz” technischer Systeme bedeutet, dass Menschen oft nicht mehr vollständig verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen und welchen Einfluss sie selbst darauf haben. Dies kann zu einer Erosion des Vertrauens führen, das für moderne Gesellschaften essenziell ist.
Zudem erfordert die Interaktion zwischen Mensch und intelligenter Technik eine Sozialisierung dieser Systeme. Das bedeutet, dass sie in eine normativ geprägte Struktur von Verhaltenserwartungen integriert werden müssen, die interaktiv vermittelt werden kann. Der Erfolg solcher hybrider Systeme hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, normativ basierte Formen der Sozialität zu etablieren, die für Menschen und Maschinen gleichermaßen gelten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Soziologie neue Modelle entwickeln muss, um die komplexen und oft unvorhersehbaren Interaktionen zwischen Menschen und “intelligenter” Technik zu verstehen. Die Etablierung normativer Strukturen und Verhaltensweisen ist entscheidend für ein risikoarmes Zusammenleben und für die Gestaltung von Hybrid-Systemen in der Zukunft.