Multiagentensysteme in der Produktion #2

Veröffentlicht am 12. September 2024 um 13:52

Zu Multiagentensystemen in der Produktion wird seit etlichen Jahren geforscht. Über die Jahre haben sich die Forschungsansätze - dem technologischen Fortschritt entsprechend - verändert. Die Kernaussagen blieben davon hingegen weitgehend unberührt. 

Nun ein kurzer Überblick über einige Arbeiten der letzten zwanzig Jahre.

Den Anfang macht die Diplomarbeit Produktionsplanung mit Hilfe von Multiagentensystemen von Sascha Lüdecke aus dem Jahr 2001. 

Lüdecke weist dabei auf die Defizite zentralisierter Systeme in der Produktionsplanung hin: 

Die gängigen Systeme verfolgen dabei einen zentralisierten Ansatz, d.h. ein einzelnes System führt die Planung und Steuerung der Produktion durch. Aufgrund der hohen Komplexität der Aufgabe und der Tatsache, dass lokale Informationen z.B. über Störungen an das System zur Berücksichtigung gemeldet werden müssen, ist ihre Leistungsfähigkeit aber begrenzt. In der Praxis ermitteln sie höchstens eine gute, fast nie aber eine optimale Lösung.

Weshalb MAS für die Lösung des Dilemmas besonders geeignet sind: 

Aus Sicht der künstlichen Intelligenz bietet es sich hier an, sogenannte Multiagentensysteme zur Lösung des Problems einzusetzen. Ein solches System besteht dabei aus vielen, autonom handelnden Softwareeinheiten, die miteinander kommunizieren, um gemeinsam ein Problem zu lösen. Die einzelnen Agenten orientieren ihre Vorgehensweise in der Regel an für sie geltende Ziele und müssen nicht immer kooperativ zusammenarbeiten. Multiagentensysteme versprechen flexiblere Lösungen , als zentralisierte Ansätze und sollen aufgrund ihrer Natur einfacher zu handhaben bzw. anzupassen sein, da sich einzelne Agenten leicht austauschen lassen. Auch, wenn bereits viele Publikationen zum Thema Multiagentensysteme erschienen sind , stehen konkrete Nachweise für ihre Eignung noch aus.

Ausschlaggebend für den erfolgreichen Einsatz von MAS sind laut Lüdecke geeignete Koordinationsmechanismen. Die folgenden Fragen sind dabei leitend: 

  1. Wie unterscheiden sich die verschiedenen Koordinationsmechanismen und unter welchen Bedingungen arbeiten sie gut?
  2. Sind die jeweiligen Koordinationsmechanismen in der Lage flexibel auf Änderungen der Umgebung zu reagieren?
  3. Eignen sich Multiagentensysteme, um Probleme der Produktionsplanung zu lösen

Zur Frage ob MAS geeignet sind, die Probleme der Produktionsplanung zu beheben: 

Diese Frage kann nicht mit Sicherheit mit Ja beantwortet werden. Im Rahmen der Untersuchungen konnte nicht festgestellt werden, ob das Agentensystem auch bei großen Problemstellungen einsetzbar ist. Ein Vergleich mit realen Daten konnte mangels Verfügbarkeit ebenfalls nicht durchgeführt werden, weshalb die damit zusammenhängende Frage, ob Multiagentensysteme die Probleme ausreichend gut lösen, nicht beantwortet werden kann. Es reagiert langsamer auf Ressourcen. Netz in der vorliegenden Implementierung sind.

Eine weitere Einschränkung: 

Die Erkenntnisse leiden unter der Tatsache, dass keine realen Vergleichsdaten zur Verfügung standen. Ein Vergleich der Koordinationsmechanismen etwa mit einer a priori berechneten optimalen Lösung würde weiteren Aufschluss über deren Eignung als Lösungsansatz für die Produktionsplanung geben.

Im Jahr 2009 gelangte Jens Nimes in seiner Dissertation Eine Referenzarchitektur für zuverlässige Multiagentensysteme zu der Feststellung: 

Multiagentensysteme erfreuen sich seit zwei Jahrzehnten einer intensiven Aufmerksam- keit durch die Forschung. In dieser Zeit gelang es vielfach, das große Potenzial der Agen- tentechnologie in komplexen Anwendungsumgebungen nachzuweisen. Dennoch sind nur vergleichsweise wenige voll ausgebildete Multiagentensysteme im industriellen Einsatz bekannt – meist werden dort bestimmte Technologien isoliert, die im Kontext der Agen- tenforschung entwickelt wurden, und in die vorhandenen herkömmlichen Systeme einge- bettet, womit jedoch zwangsläufig nicht mehr das volle Potenzial der Agententechnologie ausgeschöpft werden kann. Ein Grund für die schwache Marktdurchdringung der voll- wertigen Agentensysteme sind die erhöhten Zuverlässigkeitsanforderungen in den geeig- neten kommerziellen Anwendungsumgebungen bei der gleichzeitig großen Komplexität der Multiagentensysteme selbst, die eine Erreichung eines hohen Zuverlässigkeitsgrades erschwert.

Etwa 15 Jahre später legte Stefan Ritter seine Masterarbeit mit dem Titel Autonome Multi-Agenten-Systeme in der Industrie vor. 

Zur Problemstellung: 

Ein Agent kann eine Produktionsmaschine steuern, einen Transport organisieren oder einen Bestellprozess abwickeln. Kommen mehrere gleichartige oder aber auch verschiedene Agenten zum Einsatz spricht, man von einem Multi-Agenten-System (MAS). Diese Systeme sollen die genannten Anforderungen erfüllen. Durch eine konsequente Vernetzung werden die Produktionsteilnehmer somit in die Lage versetzt, autonom und zielgerichtet zu arbeiten. Die Einführung solcher Systeme und die dafür nötigen Grundlagen sind ein wichtiges Teilstück zur nächsten industriellen Revolution.

Eine Herausforderung war nach wie vor die Koordination der Agenten: 

Ein zentraler Punkt bei der Entwicklung von MAS ist also nicht nur die Kommu nikation, sondern vor allem die Koordination. Im Idealfall erhält man aber ein System, das Probleme lösen kann, die für einen einzelnen Akteur nicht möglich wären. Besonders dieser Punkt macht solche Agentensysteme so interessant für Produktionsprozesse. In einem Produktionsablauf ist nur in Ausnahmefällen ein einzelner Akteur ausreichend, um ein Ziel zu erreichen. Bisher muss enorm viel Aufwand betrieben werden, um die vielen unterschiedlichen Maschinen bei der Produktion zu koordinieren. MAS versprechen durch ihre Fähigkeit sich selbst zu koordinieren nicht nur eine Zeitersparnis bei der Behandlung von Abläufen. Sondern auch Ergebnisse, die ein Mensch angesichts der immer dynamischeren Prozesse kaum erreichen kann, da unvorhergesehene Ereignisse im Vorhinein nicht in ihrer Gänze berücksichtigt werden können.

Ritter bringt BDI-Agenten als zu dem Zeitpunkt relativ neues Programmierparadigma ins Spiel:

Es bedeutet zum Beispiel nicht auf Objektorientierung zu verzichten. Ganz im Gegenteil - viele Prinzipien und Entwurfsmuster gelten für beide Welten. Vielmehr ist es ein auf Objektorientierte Programmierung aufbauendes Konzept. Allerdings erfordert die Entwicklung von Agenten eine andere Herangehensweise als an übliche Software. Die BDI-Theorie versucht menschliche Verhaltensweisen bzw. die Entscheidungsfindung von Menschen nachzuahmen. Infolgedessen kann man sich einen Agent selbst während der Entwicklung ein wenig wie eine Person vorstellen. Durch “Fragen an diese Person“ kann man sich wichtigen Eigenschaften des Agenten annähern. Zum Beispiel, "Welche Ziele hast du? Was für Aktionen kannst du ausführen? Welche musst du ausführen? Was für Informationen benötigst du, um eine Entscheidung über eine Aktion treffen zu können?"

Ein Beispiel ist der ProductionAgent: 

Der ProductionAgent stellt eine gedachte Produktionseinheit dar. Im Anwendungsfall könnte das eine Maschine sein, die z.B. Löcher stanzt, Metalle zurechtbiegt oder ein Bauteil einsetzt oder Ähnliches. Hierbei kann natürlich unterschieden werden zwischen Maschinen, die einfach eine Aktion durchführen und Maschinen, die aus Teilprodukten oder Bauteilen ein neues Teilprodukt erstellen. Im ersten Fall könnte man sich eine Säge in einem Holzsägewerk vorstellen. Eine Maschine die Getränkeflaschen verschließt, benötigt dagegen eine Ressource (Kronkorken), um einen Auftrag zu bearbeiten.
Bei dem Beispiel des Holzsägewerks lassen sich recht einfach potentielle Ziele identifizieren. Das Sägeblatt läuft und teilt Baumstämme, sobald sie über ein Fließband ankommen. Man könnte sich vorstellen, dass ein Sägeblatt bei hoher Temperatur, d.h. hoher Benutzung schneller verschleißt. Ein Ziel dieser Maschine könnte also sein, die Temperatur unter einem bestimmten Wert zu halten, um die Lebenszeit des Sägeblatts zu optimieren. Ein weiteres Ziel wäre gleichzeitig, nicht mehr wie zwei Baumstämme auf dem Fließband warten zu lassen, da sonst die restliche Produktion still steht

Jedoch fallen das Resümee und der Ausblick auch hier zurückhaltend aus: 

Obwohl schon seit über 30 Jahren geforscht wird, wie intelligente Agentensysteme entwickelt werden können, ist die Verbreitung leider noch relativ gering. Die Förderung der Regierung in Form von Forschungsgeldern ist durchaus ein Treiber der Technik. Jedoch muss sie auch von der Industrie akzeptiert und eingeführt werden. Hierfür ist es neben der Erforschung der Grundlagen wichtig, auch interessante Demonstrationsprojekte zu schaffen, die den Mehrwert für Unternehmen aufzeigen. Häufige Hemmnisse sind der oftmals hohe Kostenaufwand um solche Systeme für die einzelnen Bedürfnisse zu entwickeln und schließlich einzuführen. Vorhandene Prozessabläufe und Maschinen können nicht ohne große Anstrengung einfach ersetzt werden. Deswegen ist es umso wichtiger, den Entscheidungsträgern den Nutzen und die Vorteile für ihr Unternehmen der nächsten industriellen Revolution bewusst zu machen. Je größer die Akzeptanz und das Verständnis für die neuen Techniken sind, umso eher werden sie bei Entscheidungen, wie zum Beispiel beim Bau neuer Produktionswerke, berücksichtigt.

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